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Lautlose Wirbeljäger

In der deutschen Nordsee werden seit einigen Jahren große Gebiete mit Windparks bebaut. Die Masten wirken wie gigantische Rührstäbe, die den Gezeitenstrom verwirbeln. Mit Unterwasser-Gleitern messen Forscher des Instituts für Küstenforschung jetzt, wie stark die Verwirbelungen sind – um einschätzen zu können, welche Folgen der Ausbau der Offshore-Windenergie auf biologische und chemische Prozesse im Meer haben könnte.

Ein Glider wird zu Wasser gelassen.

Ein Glider wird zu Wasser gelassen. Bild: Suzanna Clark

In der deutschen Nordsee werden seit einigen Jahren große Gebiete mit Windparks bebaut. Die Masten wirken wie gigantische Rührstäbe, die den Gezeitenstrom verwirbeln. Mit Unterwasser-Gleitern messen Forscher des Instituts für Küstenforschung jetzt, wie stark die Verwirbelungen sind – um einschätzen zu können, welche Folgen der Ausbau der Offshore-Windenergie auf biologische und chemische Prozesse im Meer haben könnte.

Lautlos wie kleine Segelflugzeuge gleiten sie durch die Ozeane. Die Nase voran sinken sie tiefer und tiefer, bis in die entrückten Winkel der Weltmeere. Ganz allein, fernab von einem Hafen oder Forschungsschiff folgen sie ihrer Bahn. Glider, Gleiter, nennt man diese neuen, unauffälligen Messinstrumente der Meereswissenschaften. Ihre Stärke ist ihre Schlichtheit. Gleiter schweben mit kleinen Tragflächen ganz ohne Treibstoff dahin –tage- und wochenlang. Sie bewegen sich nach dem archimedischen Prinzip voran – durch Veränderung ihrer Masse.

In ihrem Inneren befindet sich eine kleine Kammer, die mit Wasser gefüllt werden kann. Dadurch wird der Glider schwerer und sinkt ab. Damit er nicht einfach zu Boden sinkt, kann der Glider einstellen, in welchem Winkel er abtaucht. So sinkt er langsam wie ein Segelflugzeug im Landeanflug ab. Soll er wieder auftauchen, presst der Kolben das Wasser aus der Kammer. Der Glider wird leichter und steigt langsam wieder auf – wie ein Segler in gemächlichem Steigflug. Die mannshohen Glider haben derzeit einen Stückpreis von etwa 150.000 Euro – und sind damit deutlich günstiger als herkömmliche Unterwasserroboter. Kein Wunder, dass sie sich langsam zum Arbeitspferd der Meeresforschung entwickeln.

Millimeterkleine Miniwirbel

Ein Glider taucht ab - lautlos wie ein Segelflugzeug.

Ein Glider taucht ab - lautlos wie ein Segelflugzeug.

Bild: Raimo Kopetzky

Auch Jeffrey Carpenter und Lucas Merckelbach aus dem Institut für Küstenforschung sind von den Vorzügen der Glider überzeugt – und setzen sie seit einiger Zeit verstärkt für ihre Forschung ein. Carpenter und Merckelbach sind auf der Jagd nach kaum wahrnehmbaren Phänomenen im Meer – nach Mini-Wirbeln, die nur wenige Zentimeter oder gar Millimeter groß sind. Wie sich zeigt, sind die Glider perfekt darin, diese Wirbel aufzuspüren, weil sie ganz ohne dröhnenden und vibrierenden Motor auskommen und damit sozusagen einen besonders feinen Tastsinn haben. Man mag sich fragen, warum winzig kleine Wirbel im Ozean überhaupt von Interesse sind. Doch Jeffrey Carpenter macht schnell klar, dass sie geradezu essentiell sind.

In den Meeren gibt es Wirbel die viele Kilometer groß sein können, doch am Rande teilt sich selbst der größte Wirbel wie der Tropfen Sahne im Tee in immer kleinere Wirbel auf. „Die Energie des großen Wirbels geht in die vielen kleinen Wirbel über“, sagt Carpenter, „und von dieser Energie hängt es ab, wie zwischen verschiedenen Wassermassen Wärme, Nährstoffe oder Sauerstoff vermischt werden.“ Indem die Forscher die Energie der kleinen Wirbel messen, können sie außerdem das Durchmischungspotential des großen Wirbels abschätzen.

Mächtiger Rühreffekt

Offshore-Windenergieanlage

Offshore-Windenergieanlagen wie diese wirken im Wasser wie gigantische Rührstäbe. Zieht der starke Gezeitenstrom an ihnen entlang, bilden sich Wirbel von mehreren Metern Durchmesser. Bild: HZG/ Sabine Billerbeck

In der letzten Zeit beschäftigen sich Carpenter und Merckelbach vor allem mit der Frage, wie sich künftig die vielen Windräder in der Nordsee auf die Wassermassen auswirken werden. Denn der Ausbau der Offshore-Windenergie schreitet atemberaubend schnell voran – so hat sich allein zwischen 2014 und 2015 die Gesamtleistung der in den deutschen Küstengebieten installierten Anlagen verdreifacht. Die sechs Meter breiten Masten der Windräder wirken wie gigantische Rührstäbe. Zieht der starke Gezeitenstrom an ihnen entlang, bilden sich Wirbel von mehreren Metern Durchmesser. „Wir wollen vor allem herausfinden, wie dieser Rühreffekt die Schichtung der Wassermassen in der Nordsee beeinflusst“, sagt Lucas Merckelbach. Diese Schichtung tritt vor allem im Sommer auf. Das Wasser an der Oberfläche ist warm und reich an Sauerstoff. Darunter befindet sich kaltes Wasser, das viele Nährstoffe enthält.

Einfluss auf die Schichtung der Wassermassen?

Zwischen ihnen liegt die sogenannte Sprungschicht, die beide Wasserschichten wie eine Grenze voneinander trennt, sodass sich diese nicht mehr vermischen. In der Nordsee liegt diese Sprungschicht im Sommer in etwa 20 Metern Tiefe. An der Sprungschicht ändert sich die Temperatur auf nur wenigen Metern Tiefendifferenz um etwa sechs Grad Celsius. Schwimmer kennen ein ähnliches Phänomen aus Badeseen: Zwar ist es an der Oberfläche schön warm. Beim Schwimmen aber tauchen die Füße unvermittelt in sehr kaltes Wasser ein. Carpenter und Merckelbach haben sich gefragt, inwieweit der Rühreffekt von Windrädern diese Sprungschicht stören oder gar auflösen könnte.

Vor einiger Zeit haben sie ihre Glider deshalb mehrmals in der Nähe von Windparks und in den künftigen Windparkarealen kreuzen lassen, um Mini-Wirbel zu messen. Die Messdaten haben sie mit einem Rechenmodell ausgewertet, mit dem sich bestimmen lässt, wie stark die Verwirbelungen zunehmen, wenn mehr und mehr Windräder errichtet werden. „Unsere ersten Ergebnisse deuten darauf hin, dass der Rühreffekt einen Einfluss auf die Schichtung der Wassermassen haben könnte, wenn ein Drittel der deutschen Nordsee mit Windrädern bebaut sein sollte“, sagt Carpenter. Genau das sehen die deutschen Windpark-Planungen vor.

Acht Wochen unterwegs dank Stromsparprogramm

Welche Auswirkungen eine mögliche Durchmischung der Wassermassen an der Sprungschicht haben könnte, können die beiden noch nicht sagen. Dafür reichen die Messergebnisse noch nicht aus. Carpenter und Merckelbach wollen ihre Glider dieses Jahr deshalb erneut in die Nordsee schicken, um die Mini-Wirbel zu jagen. „Unsere Glider können vier bis acht Wochen am Stück unterwegs sein“, sagt Carpenter. „Das ist großartig, weil sie permanent Daten aufnehmen. Mit einem Forschungsschiff wäre das gar nicht zu bewältigen – vor allem auch, weil die Glider in der Tiefe auch bei rauer See arbeiten.“ In regelmäßigen Abständen taucht der Glider auf, um seine Position und die Messdaten über eine Satellitenverbindung zu den Forschern an Land zu senden. In umgekehrter Richtung können die Forscher dem Glider Befehle zusenden, zum Beispiel um eine neue Tauchroute festzulegen.

Offshore-Windenergieanlage

Offshore-Windpark in der Nordsee. Bild: Sabine Billerbeck

Ein solcher Dauereinsatz ist nur möglich, weil die Glider extrem energiesparend sind. Das liegt daran, dass sie mit einer Geschwindigkeit von nur einem Kilometer pro Stunde durchs Wasser gleiten. Die Reibung ist bei diesem Schneckentempo sehr gering, sodass kein zusätzlicher Antrieb nötig ist. Nur für die Bewegung des Kolbens muss hin und wieder Energie aufgewendet werden. Zweitens benötigt die Recheneinheit an Bord kaum Strom. Alles in allem genügt eine Batterieleistung von nur drei Watt. Zum Vergleich: Ein Computer benötigt über 100 Watt.

Die feinen Wirbel misst der Glider mit einem speziellen Sensor, der an der Spitze einer Röhre sitzt, die an der Außenhaut des Gliders befestigt ist. Dieser sogenannte Mikrostruktur-Sensor funktioniert wie die Stimmlippe eines Blasinstruments. Durchschwimmt der Glider einen Mikrowirbel, regt der Wirbel den Sensor zu hochfrequenten Schwingungen an, die der Bordrechner speichert. „Wir können damit sehr genau ermitteln, wie energiereich die Mini-Wirbel sind“, sagt Merckelbach.

Europäisches Glider-Netzwerk

Glider vor Ludwig Prandtl

Ein Glider vor der "Ludwig Prandtl", einem der Forschungsschiffe des Instituts für Küstenforschung. Bild: Raimo Kopetzky

Inzwischen haben sich europaweit mehrere Forschungsgruppen in dem EU-Projekt GROOM (Gliders for Research, Ocean Observation and Management) zusammengetan, in dem ein Netzwerk von Glidern aufgebaut wird. Jede Gruppe verfolgt dabei ein eigenes Ziel, kann aber von den Messwerten der anderen profitieren. Mit der Beobachtung von Mini-Wirbeln in Windparks aber haben Carpenter und Merckelbach Neuland betreten. Derzeit sind sie die ersten, die die Verwirbelungen an Windparks mit Glidern und Mikrostruktur-Sensoren messen.

Text: Tim Schröder / Wissenschaftsjournalist

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Dr. Jeffrey Carpenter
Dr. Jeffrey Carpenter Abteilungsleiter Kleinskalige Physik und Turbulenz

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Dr. Lucas Merckelbach
Dr. Lucas Merckelbach Wissenschaftler Kleinskalige Physik und Turbulenz

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