Windparks als Schadstoffquelle?
Die Fundamente von Windparks werden mit Aluminium-Klötzen, den Opferanoden, vor Korrosion geschützt. Doch setzen diese Opferanoden mit der Zeit Aluminium und Schwermetalle frei. Der Umweltchemiker Dr. Daniel Pröfrock und sein Team im Helmholtz-Zentrum Geesthacht (HZG) untersuchen im Rahmen eines Kooperationsprojektes mit dem Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) jetzt erstmals systematisch, wie groß die freigesetzten Schadstoffkonzentrationen sind und ob sie eine mögliche neue Belastung für die Nordsee darstellen. Die Aufgabe ist anspruchsvoll, weil die Konzentrationen sehr gering sind, sodass herkömmliche Messverfahren versagen.
Windpark in der Nordsee (Foto: Bettina Rust / HZG)
Mehr als 1300 Windanlagen drehen sich heute in der deutschen Nord- und Ostsee. Allein im vergangenen Jahr gingen rund 140 neue Anlagen in Betrieb. Im Sinne des Klimaschutzes ist dieser Trend zu begrüßen. Wichtig ist es aber auch, mögliche negative Folgen im Blick zu haben. Der Umweltchemiker Dr. Daniel Pröfrock vom Institut für Küstenforschung am Helmholtz-Zentrum Geesthacht (HZG) und sein Team zum Beispiel erforschen, inwieweit chemische Stoffe, die von den Anlagen in die Nordsee gelangen, zu einem Problem für die Meeresumwelt werden könnten.
Opferanoden als Metallcocktail
Die Experten untersuchen derzeit vor allem den Korrosionsschutz der Windenergieanlagen, bei dem galvanische Anoden, die sogenannten „Opferanoden“, zum Einsatz kommen. Opferanoden sind große Metallklötze, die ringsum an der Außenhaut der Fundamente befestigt sind. Sie bestehen aus Aluminium, dem eine ganze Reihe von anderen Elementen beigemischt ist. Die Opferanoden verhindern, dass der Stahl im salzigen Meerwasser korrodiert. Statt des Stahls greift das Meerwasser die minderwertige Aluminium-Metallmischung an.
Galvanische Anoden werden in unterschiedlichen Größen und Formen als Korrosionsschutz eingesetzt, z.B. für Schiffe und Wasserbauwerke (Foto: Nathalie Voigt / HZG)
Während der Stahl geschützt wird, lösen sich die Opferanoden mit der Zeit auf. Dieser Auflösungsprozess läuft kontinuierlich ab und führt zur anhaltenden Freisetzung von Anodenmaterial und den darin enthaltenen Elementen. Die Mengen, die in den Windparks verbaut sind, sind enorm. So benötigt ein einziges Windrad je nach Art des Fundaments auf seiner Oberfläche Opferanoden mit einem Gesamtgewicht von bis zu 10 Tonnen, um einen ausreichenden Korrosionsschutz zu gewährleisten.
Insgesamt setzen die vielen Opferanoden in einem Windpark so über die Zeit neben Aluminium verschiedene andere Metalle frei, darunter bekannte giftige Elemente wie Blei und Kadmium, aber auch exotische Elemente wie Gallium und Indium, über deren Verhalten in der Umwelt recht wenig bekannt ist.
Geringste Konzentrationen messen
Das Projekt, an dem das Team arbeitet, ist noch in vollem Gange. Daher kann Dr. Daniel Pröfrock noch nicht mit Sicherheit sagen, wie viel Metall von den Windrädern ins Wasser gelangt. „Weder kennen wir die genauen Mengen, noch können wir derzeit sagen, ob die Metalle im Wasser Konzentrationen erreichen, die eine Gefahr für Meeresorganismen darstellen“, sagt der Chemiker.
Denn die Konzentrationen, mit denen es die Forscher zu tun haben, sind ungeheuer gering. So kommen die von den Opferanoden freigesetzten Metalle in Konzentrationen von wenigen Nanogramm pro Liter (ng/L) vor. Das entspricht einigen wenigen Metallionen, die in einer Billiarde Wassermoleküle gelöst sind.
Die Leistung von Dr. Daniel Pröfrock und seinem Team besteht darin, dass sie eine Methode entwickelt haben, mit der sich so geringe Konzentrationen überhaupt messen lassen. „Herkömmliche Messgeräte haben Schwierigkeiten, so geringe Konzentrationen im Salzwasser zu messen. Wir mussten deshalb eine eigene Lösung finden.“
Entwicklung einer neuen Messmethode
In monatelanger Arbeit entwickelte das Team eine Methode, mit der es das Salzwasser in zwei Schritten untersucht. Zunächst werden in einer Art Filteranlage störende chemische Elemente wie etwa Chlor und häufig auftretende Metalle wie Natrium, Calcium oder Magnesium aus dem Wasser entfernt. Übrig bleibt eine hoch konzentrierte Mischung von Schwermetallen, die dann mit einem Massenspektrometer genauer analysiert wird. Das Massenspektrometer erkennt die verschiedenen chemischen Elemente und kann ermitteln, wie viel von einem der Schwermetalle in der Wasserprobe enthalten ist.
Ultraspurenanalyse im Reinraum Labor (Foto: Christian Schmid / HZG)
Dr. Daniel Pröfrock und seine Kollegen vom HZG und vom BSH sind inzwischen zweimal mit einem Forschungsschiff unterwegs gewesen, um Wasser- und Sedimentproben zu nehmen; in den Windparks und in direkter Nachbarschaft der Anlagen. Doch die eigentliche Arbeit beginnt im Labor, weil die Aufbereitung der Sedimentproben sehr aufwendig ist und jede Probe für die Messung zunächst mehrere Vorbereitungsschritte durchlaufen muss. So können zwischen der Probennahme und der ersten Messung mehrere Wochen bis Monate liegen.
Woher stammt das Schwermetall?
Hinzu kommt, dass die Forscher noch eine zweite Frage beantworten müssen. Die Frage, woher ein gemessenes Metallatom stammt. Denn Schwermetalle wie Blei und Kadmium gelangen beispielsweise auch über die Flüsse, die Atmosphäre oder durch Opferanoden an Schiffsrümpfen in die Nordsee.
Sedimentprobennahme mit einem sog. Kastengreifer (Foto: Anna Reese / HZG)
Die Forscher müssen also unterscheiden können, ob ein Metallatom aus dem Windpark stammt oder über eine andere Quelle in die Nordsee gelangt ist. Dazu wollen sie künftig ein seit einigen Jahren etabliertes, aber technisch hoch anspruchsvolles Verfahren einsetzen, das sie zunächst am Schwermetall Blei testen: die Isotopen-Messung.
Als Isotope bezeichnet man jene Atome eines chemischen Elements, die sich in der Anzahl ihrer Neutronen unterscheiden und dadurch unterschiedliche Atommassen aufweisen. Je nachdem, in welcher Erzmine das Blei gewonnen wurde, unterscheiden sich die Verhältnisse der Blei-Isotope zueinander, was dem Blei einen charakteristischen Fingerabdruck verleiht. Heute weiß man beispielsweise, dass in den Küstengewässern der Nordsee andere Blei-Isotopenmuster vorherrschen als beispielsweise in der Elbe, da in den Gebieten jeweils Blei-Isotope aus unterschiedlichen Quellen zusammenkommen.
Durch erste Laborversuche haben die Experten um Dr. Daniel Pröfrock jetzt herausgefunden, dass sich die Opferanoden verschiedener Hersteller in der Zusammensetzung der Blei-Isotope unterscheiden. Er hofft, diese Erkenntnisse auf die Arbeit in der Nordsee übertragen zu können, um künftig genau zu unterscheiden, ob die Schwermetalle in einer Sediment- oder Wasserprobe von einem Schiff, aus einem Fluss oder von einer Opferanode in einem Windpark stammen.
Kooperation mit dem BSH
Dr. Daniel Pröfrock und sein Team arbeiten dabei eng mit dem Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) in Hamburg zusammen, das als Überwachungsbehörde regelmäßig Schadstoffmessungen in der Nordsee durchführt – und das bei Pröfrock und seinem Team auch die Arbeiten zur Schadstoffmessung in den Windparks in Auftrag gegeben hat. „Das BSH ist jetzt dabei, unsere Messmethode für extrem niedrige Schwermetall-Konzentrationen in seinen Laboren zu etablieren, um diese künftig selbst zu nutzen.“
Wasserprobennahme im Windpark (Foto: Anna Reese / HZG)
Doch bevor das BSH die Schwermetalle aus den Windparks routinemäßig untersuchen kann, haben Dr. Daniel Pröfrock und sein Team noch einiges zu tun. So beschränkt sich die Arbeit nicht allein darauf, Konzentrationen im ng/L-Bereich genau zu messen. Es müssen zudem die Strömungen der Nordsee berücksichtigt werden, weil diese die Schwermetallkonzentrationen im Wasser sehr stark beeinflussen können.
Hier spielen vor allem die Gezeiten eine Rolle. Das Wasser in der Nordsee strömt nicht wie ein Fluss immer in eine bestimmte Richtung. Vielmehr bewegt sich ein Wasserkörper durch den permanenten Wechsel von Ebbe und Flut hin und her. Das Wasser verharrt also länger in einer Region, ehe es durch den Wind langsam weitergetrieben wird. Ebbe, Flut und Wind führen letztlich dazu, dass sich ein Wasserkörper in großen Ellipsen von etwa zehn Kilometer Durchmesser bewegt. Und das heißt auch, dass ein Wasserkörper, der sich gerade in einem Windpark befindet, durch Ebbe und Flut mehrfach durch den Windpark bewegt wird.
Unterstützung durch Strömungsexperten
„Dieses Wissen ist für uns ganz entscheidend, wenn wir Wasserproben nehmen“, sagt Dr. Daniel Pröfrock. „Denn je länger das Wasser im Bereich eines Windparks verweilt, desto stärker können sich Schwermetalle möglicherweise in diesem Wasserkörper anreichern.“
Der Strömungsspezialist Dr. Ulrich Callies vom Institut für Küstenforschung hat unlängst zusammen mit seinen Kollegen die „DriftApp“ entwickelt, mit der sich mit wenigen Klicks ermitteln lässt, wohin sich ein Wasserkörper in der Nordsee gerade bewegt und woher er kommt. Es reicht, die eigene Schiffsposition anzugeben und schon berechnet die App, woher das Wasser, das man gerade vom Schiff aus der Nordsee entnimmt, stammt und wohin es fließt.
Einstieg in die DriftApp am Bildschirm (Screenshot Website)
Die DriftApp rechnet ähnlich wie der Wetterbericht zwei Tage in die Zukunft, kann aber auch bis zu zwei Wochen in die Vergangenheit blicken und ermitteln, welchen Weg ein Wasserkörper in dieser Zeit zurückgelegt hat. Die DriftApp ist für Dr. Daniel Pröfrock und sein Team von großer Hilfe. „Wir können während einer Schiffsreise künftig ermitteln, wohin wir mit dem Schiff fahren müssen, um einen Wasserkörper, der aus einem Windpark kommt, beispielsweise mehrfach beproben zu können, um zu sehen, wie dieser sich über die Zeit verändert“, sagt er.
Kinderleicht anwendbare App berechnet komplexe Strömungen
Auch für die Arbeit im Labor ist die DriftApp hilfreich. So konnten die Forscher bei der Auswertung ihrer Schwermetallmessungen im Nachhinein ermitteln, welchen Weg das Wasser genommen und wie oft es einen Windpark durchkreuzt hatte. Noch müssen die Forscher mit ihren ausgetüftelten Analyse-Geräten viele Sediment- und Wasserproben auswerten, um sich ein Bild davon machen zu können, inwieweit die Schwermetalle aus den Windparks eine ernste Belastung für das Leben in der Nordsee sind.
„Das einzige, was wir derzeit mit Sicherheit sagen können, ist, dass im Sediment in unmittelbarer Nähe zu älteren Windparks an manchen Stellen erhöhte Schwermetallkonzentrationen zu finden sind“, sagt Dr. Daniel Pröfrock. „Ob diese Werte möglicherweise kritisch sind, werden wir aber erst sagen können, wenn wir einen Überblick über die ganze Nordsee haben.“ Interessant werden vor allem Zeitreihen sein, an denen man dann erkennen kann, ob sich an bestimmten Stellen innerhalb oder nahe der Windparks Schwermetalle anreichern – sodass deren Konzentrationen dann möglicherweise sogar über den üblichen Konzentrationen in der Nordsee liegen.
(Text: Wissenschaftsjournalist Tim Schröder)