Wie viel CO2 schluckt der Ozean?
Das Meer ist der größte Speicher für das Treibhausgas Kohlendioxid. Wie Untersuchungen von Forschern des Helmholtz-Zentrums Geesthacht (HZG) zeigen, können Nitrateinträge vom Land dieses CO2-Aufnahmevermögen offenbar noch steigern. Doch zugleich wirkt Nitrat als Pflanzennährstoff, der zur Überdüngung von Küstengewässern führen kann. Diese Diskrepanz will der Wissenschaftler Dr. Helmuth Thomas jetzt mit seiner neuen Arbeitsgruppe „Alkalinität“ genauer untersuchen. Nicht zuletzt, weil künftig durch den zunehmend geplanten Anbau von Energiepflanzen wie etwa Mais oder schnell wachsenden Gräsern immer mehr Nitrat in die Meere gelangen könnte.
Meere sind ein Speicher für Kohlendioxid (Foto: Helmuth Thomas / HZG)
Gäbe es die Meere nicht, dann sähe es heute weltweit in Sachen Klimawandel noch schlechter aus. Denn die Meere sind ein riesiger Speicher für das Treibhausgas Kohlendioxid. Das Kohlendioxid, CO2, löst sich im Wasser, reagiert mit anderen Substanzen und bleibt so für lange Zeit in den Ozeanen gebunden. Seit Beginn der industriellen Revolution haben die Meere rund ein Viertel aller jemals durch den Menschen emittierten CO2-Massen geschluckt. Wäre das nicht der Fall, wäre die Erdatmosphäre heute noch deutlich wärmer.
Die Hauptrolle in diesem biogeochemischen Wechselspiel zwischen Atmosphäre und Ozean spielt die Verwitterung von Gesteinen an Land. Die gelösten Produkte – zum Beispiel Kalzium und Bikarbonat (eine Form des CO2) – gelangen über die Flüsse ins Meer. Im Meer wiederum wird das Bikarbonat zu einem Teil in Karbonat umgewandelt. Und das Verhältnis dieser beiden Formen des CO2 bestimmen das Säurebindungsvermögen des Meerwassers und macht sie zum Gegenspieler des Kohlendioxids: CO2 reagiert mit Wasser zu Kohlensäure. Vor allem das sogenannte Karbonat-Ion bindet die Säuremoleküle und entfernt damit das CO2-Gas aus dem Wasser.
Diese chemische Bindung des Kohlendioxids beziehungsweise der Kohlensäure an das Karbonat ist ein wichtiger Aspekt. Denn in dem Maße, wie über das Karbonatgleichgewicht Kohlendioxid aus dem Wasser entfernt wird, kann das Meer neue Kohlendioxid-Moleküle aus der Atmosphäre aufnehmen – und damit der Erderwärmung entgegenwirken.
Nitrat beeinflusst die Karbonat-Konzentration
Die Frage, wie stark die gelösten Karbonate im Meer Kohlendioxid binden können, und ob diese Fähigkeit durch den Klimawandel gestört wird, erforscht man erst seit einigen Jahren intensiv. Besonders interessant ist die Erkenntnis, dass verschiedene Meeresgebiete unterschiedliche Mengen an Karbonaten enthalten. So hängt die Konzentration unter anderem von der Zusammensetzung der Gesteine in einer Region ab, und davon, wie viel Niederschlag dort fällt, mit dem die Karbonate vom Land ins Meer gespült werden.
Dr. Helmuth Thomas, am HZG Spezialist für Biogeochemie, schaut sich seit einiger Zeit einen weiteren wichtigen Mechanismus an, der die Menge der Karbonate im Meer beeinflusst. Denn Karbonate entstehen nicht nur durch die Verwitterung von Gesteinen, sondern auch durch einen biogeochemischen Prozess im Meer. Dieser hängt unmittelbar mit einer anderen chemischen Substanz zusammen, dem Nitrat. Nitrat wird seit Jahrzehnten als Dünger in der Landwirtschaft eingesetzt. Doch wird das auf die Felder ausgebrachte Nitrat nur zu einem Teil von den Pflanzen aufgenommen, weil beträchtliche Mengen durch den Regen davongespült werden. Experten schätzen, dass weltweit rund 40 Prozent des Nitrats von den Äckern verloren gehen und in Gewässern beziehungsweise im Meer landen.
Über die Düngung mit Gülle gelangt Nitrat in den Boden (Foto: Ina Frings)
In Küstengewässern spielt Nitrat dort eine besondere Rolle, wo es wenig oder keinen Sauerstoff gibt, etwa in den tiefen Wasserschichten nahe dem Meeresboden oder im Sediment. Dort leben Bakterien, die für ihren Stoffwechsel nicht Sauerstoff benötigen, sondern stattdessen Nitrat nutzen. Bei diesem Prozess, der als Denitrifikation bezeichnet wird, setzen die Mikroorganismen schließlich als Stoffwechselprodukt nicht CO2 frei, sondern gelöste Karbonate. Das bedeutet: Je mehr Nitrat im Wasser oder im Sediment umgesetzt wird, desto mehr Karbonate geben die Mikroorganismen ab. Und damit steht letztlich auch mehr Karbonat zur Verfügung, um die Kohlensäure zu neutralisieren, die durch das im Wasser gelöste Kohlendioxid entstanden ist. In letzter Konsequenz kann das Meer dank der erhöhten Nitrateinträge mehr Kohlendioxid aus der Luft aufnehmen.
Die komplexe Karbonatchemie verstehen
Wie wichtig es ist, diesen Mechanismus genauer zu betrachten, wurde Helmuth Thomas Anfang der 2000er Jahre klar. Damals versuchte er genau zu ermitteln, wie viel Kohlenstoff in der Nordsee umgesetzt wird. Er bilanzierte alle CO2-Transporte zwischen dem Wasser, den Flüssen, der Atmosphäre und dem Sediment sowie der Biomasse, etwa den Algen. Doch irgendwie ging die Gleichung nicht auf. „Irgendwann wurde mir klar, dass wir den Nitratabbau und die damit verbundene Karbonatbildung durch Denitrifikation genauer in die Berechnungen einbeziehen müssen, um zur richtigen Lösung zu kommen“, sagt er.
Und so hat sich Dr. Helmuth Thomas als einer der wenigen Experten in den vergangenen Jahren tief in die komplexe Karbonatchemie des Meeres eingearbeitet. Seit Anfang 2019 hat er am Institut für Küstenforschung des HZG eine Arbeitsgruppe, die sich explizit dem Säurebindungsvermögen der Karbonate, der sogenannten „Alkalinität“ widmet. Zusammen mit seinen Mitarbeitern hat er zuletzt einen bislang noch zu wenig erforschten Aspekt des Klimawandels genauer untersucht: die Konsequenzen, die der massenhafte Anbau von Energiepflanzen künftig auf das Meer haben könnte.
Energiepflanzen wie z.B. Mais und Getreide (Foto: Ina Frings)
So diskutiert der Weltklimarat aktuell die Kultivierung solcher Energiepflanzen als eine Maßnahme des sogenannten Climate Engineerings. Darunter versteht man großräumige Eingriffe, mit denen die Konzentration des atmosphärischen Kohlendioxids verringert werden soll. Energiepflanzen sollen in großen Monokulturen angebaut werden, damit sie während ihres Wachstums Kohlendioxid aus der Atmosphäre aufnehmen. Anschließend sollen die Pflanzen in Kraftwerken verbrannt und zur Energieerzeugung genutzt werden. Das bei der Verbrennung wieder freigesetzte CO2 soll dann abgefangen und in unterirdischen Speichern gelagert werden.
Steigender Nitrateinsatz?
Bislang hat man die Konsequenzen des Biopflanzenanbaus für die Umwelt aber nur recht grob abgeschätzt. Helmuth Thomas hat sich deshalb die möglichen Folgen für das Meer in dem deutsch-französischen Kooperationsprojekt „Make our planet great again“ genauer angeschaut. Er hat ein Zukunftsszenario des Weltklimarats als Grundlage genommen, welches davon ausgeht, dass für den Anbau von Energiepflanzen in relevanter Größenordnung eine Fläche von der dreifachen Größe Indiens bepflanzt werden müsste. „Dafür wird man weltweit große Mengen an Dünger einsetzen müssen, was auch zu einer erheblichen Zunahme der Nitrateinträge in viele Küstenmeere führen dürfte“, sagt Helmuth Thomas. „Mit der Zunahme der Nitrateinträge werden diese Gebiete über den Umweg der Denitrifikation und der Bildung von Karbonat deutlich mehr Kohlendioxid aufnehmen können.“
Angst vor der Überdüngung
Im Hinblick auf den Klimawandel klingt das vielversprechend. Doch die Sache hat einen Haken. Nitrat ist bekannt dafür, dass es als Pflanzendünger auch das Wachstum von Meeresalgen deutlich ankurbelt. Problematisch wird es, wenn diese Algenmassen absterben. Beim Abbau der organischen Substanzen durch Bakterien wird viel Sauerstoff verbraucht. Der fortschreitende Abbau des organischen Materials ohne Sauerstoff führt dann wiederum zur Denitrifikation und zu weiteren anaeroben Stoffwechselvorgängen, die durch die Überdüngung verstärkt werden.
Ein bekanntes Beispiel ist der Geruch nach faulen Eiern im Wattenmeer, der durch anaerobe Prozesse verursacht wird. Niedrige Sauerstoffkonzentrationen im Wasser aber können dazu führen, dass Fische und Muscheln sterben. In manchen stark überdüngten Meeresgebieten gibt es schon heute regelrechte sauerstofffreie Todeszonen. Der intensive Anbau von Energiepflanzen dürfte diesen Effekt noch erheblich verstärken, falls es nicht gelingt, Dünger zu entwickeln, der von den Äckern weniger stark ausgewaschen wird.
Probennahme im Watt (Foto: Ina Frings / HZG)
Vor- und Nachteile diskutieren
„Dem Vorteil einer erhöhten CO2-Aufnahme dank des Nitrats steht also die Überdüngung des Meeres entgegen – diese Diskrepanz muss gelöst werden, ehe man den Anbau von Energiepflanzen stark intensiviert“, sagt Helmuth Thomas. Er will mit der neuen Alkalinitäts-Arbeitsgruppe am HZG zunächst für die Nordsee ermitteln, wie sich ein solcher Energiepflanzenanbau in Europa auf die Meeresumwelt auswirken könnte.
Eine entscheidende Rolle spielen hier die Sedimente der Nordsee. Ein feiner Meeresboden ist eher sauerstoffarm – und eher für die Denitrifikation geeignet. Auf felsigem, sauerstoffreichen Meeresboden hingegen findet kaum ein Nitrat-Abbau statt. Helmuth Thomas nutzt für seine Analysen Computermodelle, wird mit seinen Mitarbeitern aber auch vom Forschungsschiff aus Sedimentproben nehmen, um die Denitrifikation und die Stoffumsätze vor Ort genauer zu verstehen und zu bilanzieren. Ein Ziel ist das feine Sediment in den Gewässern um die Insel Spiekeroog. Andere Proben will er am eher felsigen Grund bei Helgoland nehmen.
Probennahme vom Forschungsschiff mit einem sog. Kastengreifer (Foto: Sina Bold / HZG)
„Bei all dieser Arbeit ist mir wichtig, dass man mich nicht als Verfechter des Nitrats als Lösungsstrategie für den Klimawandel versteht. Die Überdüngung der Küstengebiete mit Nitrat ist seit vielen Jahren in vielen Regionen ein ernstes Problem – daher will ich genauer verstehen, welche Konsequenzen Climate-Engineering-Maßnahmen wie der Anbau von Energiepflanzen auf das Meer haben.“ Idealerweise werden sich die Erkenntnisse aus der Nordsee dann auf andere Meeresregionen der Welt übertragen lassen, sagt er. Das ist zu hoffen, denn sowohl die Eutrophierung als auch der Klimawandel sind Phänomene, die den Menschen weltweit Sorgen bereiten.
(Text: Tim Schröder / Wissenschaftsjournalist)