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„Das Wissen über die Fließeigenschaften ist elementar für die Materialverarbeitung“
„Praktische Rheologie von Polymeren“ - so lautet das Thema der Geesthachter Polymertage, die am 18. und 19. November 2014 im Helmholtz-Zentrum Geesthacht (HZG) stattfinden. Rheologie bezeichnet die Lehre über die Fließ- und Deformationseigenschaften von Materialien. Lesen Sie hier das Interview mit dem Organisator und HZG-Abteilungsleiter Dr. Ulrich Handge. Er sprach über seine Forschung, die Verbindung zur Rheologie und die Inhalte des zweitägigen Workshops.
HZG-Wissenschaftlerin im Prüflabor.
Foto: HZG/ Christian Schmid
Der Begriff Polymer lässt sich von den griechischen Wörtern poly, „viel“ und méros, „Teil“ ableiten und bedeutet so viel wie: „Aus vielen gleichen Teilen aufgebaut“. Was macht Polymere so interessant für Sie?
Polymere können industriell sehr vielfältig eingesetzt werden. Je nach Polymer besitzen sie sehr gute Eigenschaften bei Trennprozessen in der Membrantechnik. Generell ist ihre Produktion relativ kostengünstig. Darüber hinaus besitzen Polymere sehr gute Verarbeitungseigenschaften. Man kann aus ihnen sehr dünne Membranen herstellen, die eine hohe Durchlässigkeit besitzen.
Von welchen Polymeren ist eigentlich die Rede?
Dr. Ulrich Handge, Leiter der Abteilung Materialcharakterisierung und -verarbeitung.
Foto: HZG/ Christian Schmid
Wir untersuchen im Institut für Polymerforschung ein breites Feld an Kunststoffen. In der Regel verwenden wir thermoplastische Polymere. Sehr wichtig für unsere Forschung sind sogenannte Blockcopolymere, die aus unterschiedlichen, häufig inkompatiblen (das heißt nicht mischbaren) molekularen Blöcken bestehen. Unter geeigneten Bedingungen können wir eine poröse schwammartige Struktur herstellen, die es uns erlaubt, Stoffgemische zu trennen. Unserer Abteilung ist es zum Beispiel gelungen, ausgehend von Blockcopolymeren und dem Verfahren der Extrusion – hier wird eine Polymerflüssigkeit mit Druck durch einen schmalen Düsenspalt gefördert – einen Hohlfaden zu spinnen, der nach einem zusätzlichen Fällungsprozess eine isoporöse Außenhaut besitzt. Künftig lassen sich Hohlfadenmembranen zum Beispiel einsetzen, um Viren und Bakterien aus Trinkwasser zu filtern. Auch eine medizinische Anwendung, zum Beispiel für Dialysesysteme, ist denkbar.
Sie haben gerade ein konkretes Entwicklungsbeispiel genannt. Welche Aufgaben erfüllt Ihre Abteilung allgemein im Zusammenhang mit der Polymerforschung?
In unserer Abteilung befassen wir uns mit der Charakterisierung und Entwicklung von nanostrukturierten Polymermaterialen für Membranen und mit der Herstellung von Membranen. Dabei dient die Charakterisierung als wichtige Grundlage für alle weiteren Entwicklungs- und Herstellungsschritte. Denn je mehr ich über die Eigenschaften von Polymermaterialien weiß, desto gezielter kann ich bei der Verarbeitung darauf eingehen und so die Mikrostruktur für konkrete Anwendungen verbessern. Vor allem rheologische Eigenschaften spielen eine entscheidende Rolle. Sie sind elementar für die Materialverarbeitung.
Können Sie mir den Zusammenhang zwischen Rheologie und Materialverarbeitung verdeutlichen?
Eine wichtige rheologische Eigenschaft ist die Viskosität, das heißt die Zähigkeit des Materials im flüssigen Zustand. Sie hängt mit der molekularen Struktur zusammen. Denn beim Fließen gleiten die Makromoleküle aneinander ab. Je größer die Kettenlänge der Polymere, desto zäher die Flüssigkeit und desto mehr Kraft muss ich bei der Verarbeitung aufwenden. Die Kraft, genauso wie die Temperatur, sind wichtige Verarbeitungsparameter, die ich steuern kann. Wir versuchen diese Parameter optimal zu wählen, um jeweils die gewünschte Membranstruktur zu erhalten.
Bei Membranen sind die Porosität und die Porengröße wichtige Größen. Foto: HZG/ Christian Schmid
Wie sieht das in der Praxis aus?
Bei Membranen sind die Porosität und die Porengröße wichtige Größen. Durch die Steuerung der Prozessparameter können wir darauf Einfluss nehmen. Bei Schäumen zum Beispiel ist die Viskosität maßgeblich verantwortlich für die Schaumdichte, die mittlere Zellgröße und weitere charakteristische Schaumeigenschaften, zum Beispiel ob der Schaum offenzellig oder geschlossen ist. Bei einem weit verbreiteten Membranherstellungsprozess, dem sogenannten Phaseninversionsverfahren, werden Lösungsmittel eingesetzt. Die Viskosität der verwendeten Polymerlösung besitzt wesentlichen Einfluss auf die Eigenschaften einer Hohlfadenmembran. In unserer Abteilung erforschen wir auch Herstellungsverfahren bei denen wir gezielt auf Lösungsmittel verzichten.
Was ist ihr Beweggrund, lösemittelfreie Prozesse zu entwickeln?
Die Lösungsmittel müssen in einem aufwendigen Prozess wieder aus der Membran herausgewaschen werden. In vielen Fällen sind sie gesundheitsschädlich. Jeder Verzicht auf Lösungsmittel nutzt der Umwelt. Außerdem müssen sie kostenintensiv entsorgt oder aufbereitet werden.
Wie weit haben Sie dieses Vorhaben bereits realisiert?
Wir können bereits ausgehend von der Schmelze Blockcopolymerschäume mit einer niedrigen Schaumdichte ganz ohne Lösungsmittel gewinnen. Auch mit Hilfe des Sinterverfahrens – ein Verarbeitungsverfahren, bei dem die Temperaturen unterhalb der Schmelztemperatur liegen – können wir funktionelle Membranen ohne Lösungsmittel herstellen. Für die Optimierung dieser Verfahren ist wieder die Kenntnis der rheologischen Eigenschaften der verwendeten Polymere in Abhängigkeit von der Temperatur und den Prozessparametern (zum Beispiel der Deformationsgeschwindigkeit auf mikroskopischer Skala) wichtig.
Am 18. und 19. November 2014 finden bereits zum dritten Mal die Geesthachter Polymertage statt, welche diesmal Ihre Abteilung organisiert. Was kann ich mir allgemein unter den Polymertagen vorstellen?
Die Geesthachter Polymertage gibt es seit 2012 mit jährlich wechselnden Schwerpunkten. Sie richten sich sowohl an Anwender aus der Industrie, als auch an universitäre und nichtuniversitäre Forschungseinrichtungen. In diesem Jahr beschäftigen wir uns mit der „Praktischen Rheologie von Polymeren“, weil wir uns bewusst sind, dass das Wissen über die Fließeigenschaften einen großen Stellenwert in der Praxis besitzt. Wir wollen unsere Expertise an die Anwender vor Ort vermitteln.
Wie viel Teilnehmer erwarten Sie?
Zusammen mit den Referenten werden wir rund 40 Teilnehmer sein, die aus allen Ecken Deutschlands kommen.
Was erwartet die Teilnehmer?
Der Rheologie-Workshop vermittelt die Grundlagen der Rheologie (Fließ- und Deformationseigenschaften) und vertiefende Zusammenhänge. So werden unter anderem experimentelle Messmethoden beleuchtet, die sehr komplex sind. Foto: Anton Paar Germany GmbH
In dem Workshop wollen wir sowohl die Grundlagen, als auch vertiefende Rheologie theoretisch und experimentell betrachten. Dafür haben wir auf dem Gebiet erfahrene Wissenschaftler eingeladen, die uns dabei helfen, einen umfassenden Einblick in die Standard- und erweiterten Methoden der praktischen Rheologie zu geben. Im ersten Teil werden wir den Teilnehmern die Grundlagen der Fließeigenschaften, also auch wichtige Begriffe und Messmethoden, näherbringen. Gleichzeitig beleuchten wir zentrale Zusammenhänge im Kontext experimenteller Untersuchungen. Anschließend gehen wir auf die unterschiedlichen Eigenschaften von Polymerlösungen und Polymerschmelzen ein. Insbesondere experimentelle Messmethoden, die sehr komplex sind, wollen wir während des Workshops behandeln.
Ich wünsche Ihnen viel Erfolg beim Workshop und danke Ihnen für das interessante Gespräch.
Kontakt
Institut für Polymerforschung
Tel: +49 (0)4152 87-2446
E-Mail KontaktMax-Planck-Str. 1
21502 Geesthacht
Helmholtz-Zentrum Geesthacht
Tel: +49 (0)4152 87-1677
E-Mail KontaktMax-Planck-Str. 1
21502 Geesthacht