Die Nord- und Ostsee im Modell
In dieser Woche veranstaltete das Institut für Küstenforschung in der Akademie Schnakenbek einen Expertenworkshop zum Thema „Modulare Kopplung von Ökosystemmodellen in Schelfmeeren und Küsten“.
Wir sprachen mit dem Organisator des Workshops Dr. Carsten Lemmen aus dem Institut für Küstenforschung, um zu erfahren, was „Ökosystemmodelle“ sind, was sie leisten können und worin die wissenschaftlichen Herausforderungen in diesem Forschungsfeld liegen.
Interview mit Carsten Lemmen
Frage: Für Nichtkenner ist das Prinzip von naturwissenschaftlichen Modellen nicht so leicht nachvollziehbar. Anders als in der Forschung im Freiland fehlen oft Bilder, die das Thema verdeutlichen. Wenn wir aber versuchen in Bildern zu denken, wie kann man die Funktion von Modellen simpel veranschaulichen?
Foto: HZG/Torsten Fischer
Carsten Lemmen: Wir definieren ein Modell als ein vereinfachtes zielgerichtetes Abbild der Wirklichkeit. Ein ganz einfaches Beispiel, dass jeder kennt: Die Modelleisenbahn. Das Ziel des Modellbauers war es, ein Spielzeug zu schaffen, dass eine Eisenbahn möglichst maßstabsgetreu nachbildet und deren wesentliche Funktion – das Fahren auf Schienen – veranschaulicht.
Natürlich bauen wir in unserem Projekt die Ökosysteme nicht zum Anfassen im Modellbaukasten nach, sondern versuchen mithilfe von Rechenmodellen prinzipielle Vorgänge in den Küstenregionen besser zu verstehen. In der Ökosystemmodellierung untersuchen wir die zeitlichen Veränderungen und Interaktionen zwischen Lebewesen und deren Wechselwirkungen mit ihrer Umwelt. Durch das Zusammenwirken vieler Prozesse sind Ökosysteme komplex.
Hier fehlt mir wieder ein Bild. Können Sie ein Beispiel für diese Komplexität benennen?
Carsten Lemmen: Nehmen wir mal das Auftreten von Algenblüten in den Küstenregionen. Algen benötigen zum Wachstum unter anderem Nährstoffe und Licht. Ein Großteil dieser Nährstoffe wird über Flüsse in die Meere transportiert. Gleichzeitig transportieren die Flüsse aber auch Sedimente und Schwebeteilchen, die den Lichteinfall für die Algen wiederum reduzieren und so das Wachstum einschränken können.
Wir wissen heute, dass dieser reduzierte Lichteinfall oftmals einen höheren negativen Einfluss auf das Algenwachstum haben kann, als die positive Fracht von Nährstoffen. Ein weiterer Faktor ist die Atmosphäre, sie transportiert Nährstoffe vom Land aufs Meer. Hinzu kommt noch die Zirkulation des Meeres. Eine Aufwirbelung des Meeresbodens kann Nährstoffe freisetzen, aber auch wiederum den Algen das Licht nehmen.
Und die Aufgabe von Ökosystemmodellen dabei?
Idealerweise verbindet ein modulares System verschiedene Modelle miteinander. Schema: Mossco Schema
Die erste Herausforderung der Ökosystemmodellierung besteht darin, natürliche Prozesse wie zum Beispiel das Auftreten von Algenblüten im Detail zu verstehen. Irgendwann einmal wird man aufbauend auf diesem Prozessverständnis im besten Fall auch Abschätzungen über das Auftreten von solchen Blüten machen können.
In unserer Gruppe versuchen wir, wesentliche Zusammenhänge zwischen den Lebewesen, deren Eigenschaften und Verhalten in ihrer Umwelt und Gemeinschaft zu identifizieren und in mathematischen Gleichungen zu formulieren.
In Rechenmodellen simulieren wir das Ökosystem in seinem ozeanografischen und geochemischen Zusammenhang. Dabei stützen wir uns auf real gemessene Daten, zum Beispiel aus dem Mess- und Beobachtungssystem unseres Institutes COSYNA; am Rechner führen wir anschließend regelrechte Experimente durch, um allgemeinere Tendenzen – über die zeitliche Entwicklung des Ökosystems – machen zu können.
Das Projekt „Modulares System für Schelfmeere und Küsten (MOSSCO), in dessen Rahmen auch der Workshop stattfand, wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert. Entwickeln Sie ein weiteres Ökosystemmodell?
Carsten Lemmen: Nein, wir gehen einen entscheidenden Schritt weiter. Wir versuchen ein modulares System zu schaffen, um die vorhandenen Modelle von verschiedenen Experten und Disziplinen miteinander kombinieren zu können. Für die Nord- und Ostsee gibt es zahlreiche Modellanwendungen, jedoch „sprechen“ diese Modelle kaum miteinander.
Was heißt die Modelle „sprechen“ kaum miteinander?
Carsten Lemmen (lacht): Ja, Sie wollten doch Bilder. Wenn ich sage, dass diese Modelle nicht miteinander „sprechen“, meine ich, dass viele Modelle nicht untereinander kompatibel sind. Wir schaffen quasi einen Kommunikationsstandard, in dem sich die verschiedenen Modelle unterhalten können. Die Modellentwicklung bleibt dabei bei den jeweiligen Experten, wir verbinden dann idealerweise die Prozesse am Meeresboden, mit denen der Flüsse oder der Atmosphäre. Oder wir verschalten globale Klimamodelle mit den regionalen Modellen für Küstenmeere, um die Auswirkungen des globalen Wandels auf die Küstenregionen besser zu verstehen. Wir schaffen so eine nationale Infrastruktur, die frei zugänglich sein soll und für die Küstenforschung einmalig ist.
Was sind die nächsten Schritte?
In einem der ersten Schritte müssen wir für verschiedene Einheiten eine gemeinsame Sprache entwickeln. So kann zum Beispiel Stickstoff im Wasser als Nitrit oder Nitrat gelöst sein oder die Temperatur in Fahrenheit oder Grad Celsius gemessen werden. Diese Probleme sind zum Teil schon gelöst und technisch einfach in den Griff zu bekommen, bedürfen aber der Kommunikation, deshalb auch der Workshop. Komplizierter wird es zum Beispiel bei unterschiedlichen Zeitskalen. Wann startet Modell X und wann Modell Y und in welchen zeitlichen Rhythmen liefern die Modelle welche Ergebnisse? Hier soll unser „Software-Adapter“ greifen.
Mit wem arbeiten Sie in dem Projekt zusammen?
Experten diskutieren im Workshop die Herausforderungen der Modelle der Zukunft. Foto: HZG/Torsten Fischer
Natürlich funktioniert dies alles nicht im Alleingang. Unsere direkten Kooperationspartner im Projekt MOSSCO kommen aus der Bundesanstalt für Wasserbau und dem Leibniz-Institut für Ostseeforschung in Warnemünde. Darüber hinaus sind wir sehr zufrieden, dass unser Workshop Experten aus ganz Europa unterschiedlichster Disziplinen zusammengebracht hat.
Mit der Entwicklung der Software als Open Source öffnen wir das Projekt aber auch gegenüber Dritten, z.B. freien Softwareentwicklern oder interessierten Wissenschaftlern. Wir schaffen dadurch auch eine neue Modellierungscommunity.
Hat dieses Projekt auch eine gesellschaftliche Relevanz?
Ja, unser Projekt ist eingebettet in das BMBF-Programm „Forschung für nachhaltige Entwicklung“ (FONA). Das bedeutet, dass wir neben der Beantwortung rein grundlagenorientierter Fragestellungen, mit unserer Forschung auch einen gesellschaftlichen Beitrag leisten möchten. Unser Modell soll unter anderem Szenarien zu Baggerarbeiten und den damit verbundenen Sedimenttransporten liefern und Antworten auf die Fragen der Überdüngung der Küstenwässer durch den Nährstoffeintrag liefern. Dies sind relevante Themen für Behörden und Entscheidungsträger.
Vielen Dank für die bildhaften Erklärungen und viel Erfolg!
Das Interview führte Dr. Torsten Fischer, Leiter der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit am HZG.
Zur Person
Dr. Carsten Lemmen hat Meeeresumweltwissenschafften an der Carl von Ossietzky Universität in Oldenburg studiert und am Forschungszentrum Jülich und der Bergischen Universität Wuppertal in dem Bereich Atmosphärenphysik promoviert. Seit 7 Jahren arbeitet er in der Abteilung „Ökosystemmodellierung“ unter der Leitung von Prof. Kai Wirtz am Institut für Küstenforschung des Helmholtz-Zentrums Geesthacht.