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Paläoklima - Lernen aus der Vergangenheit

Mitarbeiter der Arbeitsgruppe „Paläoklima und Statistik“ schließen aus Erkenntnissen von bereits statt gefundenen Ereignissen auf das, was zukünftig auf uns zukommen könnte. Sie erforschen vergangene Zeiten, um das „Hier und Jetzt“ besser zu verstehen.

Die Zukunft liegt in der Vergangenheit. Diese Aussage mag formal falsch oder im besten Falle paradox klingen. Für manche Wissenschaftler ist sie allerdings zu 100 Prozent korrekt. Sie schließen aus Erkenntnissen von bereits statt gefundenen Ereignissen auf das, was zukünftig auf uns zukommen könnte. Dazu gehören auch die Mitarbeiter um Dr. Eduardo Zorita aus der Arbeitsgruppe „Paläoklima und Statistik“ des Bereichs Systemanalyse und Modellierung am Institut für Küstenforschung. Sie erforschen vergangene Zeiten, um das „Hier und Jetzt“ besser zu verstehen. Doch was genau bedeutet eigentlich „Paläo“? Über welche Zeitspannen reden wir? Welche Schlüsse lassen sich aus der Vergangenheit ziehen? War möglicherweise auch beim Klima früher alles besser und vor allem: Womit genau arbeiten die Paläoklima-Wissenschaftler eigentlich?

Wissenschaftler bei der Arbeit mit Eiskernen.

Wissenschaftler bei der Arbeit mit Eiskernen. In ihnen stecken viele Erkenntnisse über das vergangene Klima. (Foto: Hans Oerter / AWI)

Die Silbe „Paläo“ ohne den Zusatz „Klima“ führt über Suchmaschinen im Jahr 2016 vorwiegend in den Bereich der Ernährung, genauer zu einer „Steinzeiternährung“. Der modische Zeitgeist, sich heutzutage „wie früher“ zu ernähren, wird in diesem Highlight Thema aber vernachlässigt und dem Ursprung der Bedeutung des Begriffs nachgegangen.

Sandwüste Namibias.

Sandwüste Namibias. (Foto: cdca beckoetter / Fotolia)

„Paläo“ oder „Paleo“ steht als Abkürzung für das Paläolithikum, die Altsteinzeit. Sie beschreibt sowohl die früheste als auch längste Epoche der Steinzeit mit Beginn vor ein bis zwei Millionen Jahren bis etwa 10000 vor Christus. Nach unserem heutigen Verständnis existierte auf der Erde zu jeder Zeit ein bestimmtes Klima. Bezeichnen wir Klima als die Statistik des Wetters über lange Zeiträume von mindestens 30 Jahren, zeigt sich ein stetiger Wandel, der sowohl auf natürlichen als auch – zumindest in den letzten gut 100 Jahren – anthropogenen Einflüssen basiert.

Das Klima in ständigem Wandel

Klima ist somit kein statischer Zustand, sondern immer ein Prozess. Natürliche Klimaschwankungen werden dabei durch Wechselwirkungen zwischen der eher chaotisch reagierenden Atmosphäre und dem eher träge entgegnenden Ozean verursacht. Vereinfacht dargestellt ändert sich das Klima langfristig über Hunderttausend oder Millionen Jahre (zum Beispiel durch variierende Erdbahnparameter und die Erdplattentektonik) genauso wie über wenige Jahre bis Jahrzehnte (durch den Sonnenzyklus, Vulkanausbrüche oder den anthropogenen Anteil des Treibhauseffekts). Welcher Bereich davon fällt nun in das typische Paläoklima?

Während heute Wetteraufzeichnungen von Temperatur, Niederschlag und Luftdruck überwiegend instrumentell erfolgen, um Zeitreihen für Klimastatistiken zu erstellen, beschäftigt sich die Paläoklimaforschung mit der Untersuchung des Klimas in Zeiten vor der verbreiteten Verfügbarkeit dieser Aufzeichnungen. Dr. Sebastian Wagner aus der Arbeitsgruppe „Paläoklima und Statistik“ nennt die letzten 1000 Jahre der Paläoklimaforschung besonders interessant, „da die Zeitspanne Einblicke in das Klima vor dem Einfluss des Menschen auf globaler Skala ermöglicht und der Zeitraum durch Klimaaufzeichnungen relativ gut abgedeckt ist – sowohl in Anzahl als auch Güte der Daten“.

Rekonstruktion des Klimas durch Proxy- und Modelldaten

Schichten in einem Eisbohrkern.

Schichten in einem Eisbohrkern. (Foto: Greenland Ice Sheet Project 2 / GISP2)

Da vor 1000 Jahren noch kein Thermometer erfunden war und demzufolge keine derartige Aufzeichnung der Temperatur aus der Zeit vorliegt, greifen die Wissenschaftler um Abteilungsleiter Dr. Eduardo Zorita zu anderen Mitteln. Die Rekonstruktion des Klimas der Vergangenheit läuft im Wesentlichen über zwei Wege:

> 1. Die empirische Rekonstruktion basierend auf Proxydaten. Diese liefern beispielsweise Baumringe, Eisbohrkerne, Korallen, Tropfsteine und Seesedimente. Hinzu kommen – meist für besiedelte Gebiete – historische Aufzeichnungen. Solche Dokumente beinhalten Informationen über Ernteerträge oder markante Hochwassermarken. Schiffslogbücher werden ebenso zur Auswertung herangezogen wie frühe Tagebücher über das Wetter.

> 2. Die Rekonstruktion mithilfe von Klimamodellen. Sie werden mit sogenannten äußeren Antriebsdaten gefüttert, beispielsweise Vulkanismus-Ereignissen, Sonnenaktivitäten und Angaben zu Treibhausgasen, die bis zum Beginn der Industrialisierung weitestgehend natürlichen Ursprungs und kaum anthropogen beeinflusst waren. Modelle liefern ein räumlich konsistentes Bild potentieller vergangener Klimaänderungen. Die HZG-Wissenschaftler rechnen sowohl globale Simulationen (mit dem Erdsystemmodell MPI-ESM-P des Max-Planck-Instituts für Meteorologie) als auch regionale Studien (mit dem Regiomodell COSMO-CCLM der Arbeitsgruppe „Regionale Atmosphärenmodelle“ am Institut für Küstenforschung).

Ein modellierter Vulkanausbruch

Eine hochkomplexe Welt in ein vereinfachtes Modell zu stecken klingt kompliziert. Mit möglichst plausiblen Theorien und basierend auf physikalischen Grundannahmen ist dies aber gar nicht so schwierig. Wie erklärt man anhand eines Klimamodells beispielsweise den Ausbruch eines Vulkans?

Kennzeichnung des Auftreten von Aerosolen in der Atmosphäre

Das Auftreten von Aerosolen in der Atmosphäre, verursacht durch Vulkanausbrüche, die die optische Dichte (Aerosol optical depth) ändern. (Foto: GERICS)

Dazu wird im Modell an bestimmten Parametern „geschraubt“, ähnlich zum Beispiel den Einstellungen an einem Mischpult: Soll mein Musikinstrument kraftvoller und tiefer klingen, verändere ich die Basskanäle. Möchte ich stattdessen hohe sensiblere Töne hervorheben, variiere ich den Einfluss der Tenorbereiche. Bricht also ein Vulkan aus, dreht man im Klimamodell an der sogenannten optischen Dichte (Aerosol optical depth). Vereinfacht erklärt wird damit die Stärke von Licht, die durch ein Medium scheint, beschrieben.

Genauer: In der realen Welt verursacht der Vulkan eine Punkteruption, die dadurch entstandenen Aerosole können sich aber global verteilen. Im Modell werden deswegen in insgesamt vier Breitenkreisbändern die Werte für die Änderung der optischen Dichte vorgegeben. Anhand der im Eisbohrkern gemessenen Sulfatmenge wird über einen Algorithmus der Charakter des Ausbruchs abgeschätzt. Auf diese Weise kann nun jeder rekonstruierte Vulkanausbruch mit Rücksicht auf den zeitlichen Verlauf abgebildet werden. Die Substratkonzentration oder genauer, der pH-Wert, aus dem Eisbohrkern lässt Rückschlüsse über die Stärke des Ausbruchs zu.

Ein Eisbohrkern in einem Kerntrog spiegelt sich mehrfach an den Aluflächen.

Ein Eisbohrkern in einem Kerntrog spiegelt sich mehrfach an den Aluflächen. (Foto: Sepp Kipfstuhl / HZG)

Das Erforschen des vergangenen Klimas mag in jeder Hinsicht spannend und aufschlussreich sein. Trotzdem stellt sich die Frage, inwieweit die Arbeit zu Erkenntnissen führt, die für uns in der heutigen Zeit oder zukünftig relevant sind. Einerseits, so Dr. Sebastian Wagner, sei es bei der Untersuchung vergangener Klimate wichtig, Informationen über die Spannbreite der Schwankungen unter natürlichen Bedingungen zu bekommen. „Außerdem bietet sich uns die Möglichkeit, mit den aktuellen Klimamodellen die aus empirischen Daten abgeleiteten Erkenntnisse widerzuspiegeln in Klimaepochen, die sich deutlich vom Klima der heutigen Zeit unterscheiden“.

Von Wahrscheinlichkeiten und Statistiken

Doch wie sicher sind vergangene Ereignisse überhaupt bestimmbar? Dazu erinnern wir uns noch einmal an die Informationen, die in die Klimamodelle einfließen. Zur Simulation des Klimas der letzten etwa 1000 bis 2000 Jahre lassen die Wissenschaftler Änderungen der Erdbahnparameter, der Solaraktivität, des Vulkanismus und der Treibhausgaskonzentrationen sowie markante Landnutzungsänderungen in das Klimamodell einfließen. Sämtliche Parameter haben eine unterschiedliche Relevanz. „Am sichersten sind Rekonstruktionen der Erdbahnparameter, da diese sich aus der Himmelsmechanik ableiten lassen“, erklärt Dr. Eduardo Zorita. Die Aktivitäten der Sonne und Vulkane hingegen seien mit großen Unsicherheiten behaftet, da diese aus den bereits oben vorgestellten Proxydaten abgeleitet würden, so Zorita. Ähnlich schwierig zu berücksichtigen sind Landnutzungsänderungen, weil diese selbst durch Modellanwendungen zunächst abgeleitet werden müssen, welche ebenfalls bereits auf bestimmten Abschätzungen beruhen. Relativ einfach erkennen die Forscher dagegen Veränderungen der Treibhausgaskonzentrationen in der Luft. Hierbei helfen ihnen die Eisbohrkerne, die in ihren Lufteinschlüssen den jeweiligen Zustand recht gut gespeichert haben.

Veröffentlichungen in „Nature“ und „Nature Geoscience“

Kennzeichnung: Vorkommen verschiedener Proxytypen auf der Nordhalbkugel

Vorkommen verschiedener Proxytypen auf der Nordhalbkugel, mit deren Daten Rückschlüsse auf die Temperatur möglich sind. Die Abbildung bezieht sich auf die Studie zur Kältewelle im 6. Jahrhundert n. Chr. mit kulturellen gesellschaftlichen Folgen. Darstellung: HZG/ Dr. Eduardo Zorita

Derzeit beschäftigen sich die Wissenschaftler der Arbeitsgruppe „Paläoklima und Statistik“ verstärkt mit dem Klima der letzten 2000 Jahre. In dem Zeitraum liegt die Mittelalterliche Warmperiode, etwa um das Jahr 1000, in der die Durchschnittstemperaturen denen des 20. Jahrhunderts ähnelten. Unmittelbar vor und nach der Zeitspanne allerdings herrschten „kleine Eiszeiten“. Die Ursachen für die zeitweise deutlich höheren globalen Temperaturen sind bisher nicht gut bekannt. Untersuchungen dazu könnten Hinweise darüber liefern, ob und wie stark unser derzeitiges Klimasystem möglicherweise große natürliche Schwankungen in kurzer Zeit auslösen kann.

Rekonstruierte Temperaturschwankungen in nordeuropäischen Sommermonaten.

Rekonstruierte Temperaturschwankungen in nordeuropäischen Sommermonaten. Die "Spätantike Kleine Eiszeit" (Late Antique Little Ice Age, LALIA) begann 536 n. Chr. und tritt hier (mit blauer Schraffierung) deutlich hervor. (Abbildung: Ulf Büntgen)

Im Fachjournal „Nature Geoscience“ haben Wissenschaftler aus sechs europäischen Ländern und den USA, unter Beteiligung von Dr. Sebastian Wagner, eine markante Kälteperiode in Eurasien um 600 nach Christus detektiert und eine Überlagerung mit großflächigen Krankheiten, Völkerwanderungen und politischen Umwälzungen aufgezeigt. Bei der Kälteperiode im 6. Jahrhundert handele es sich demnach um die stärkste Abkühlung auf der Nordhalbkugel während der letzten 2000 Jahre. Als Ursache bestimmten die Forscher drei große Vulkanausbrüche innerhalb von elf Jahren, deren Effekt auf das Klima durch die verzögerte Wirkung der Ozeane und ein Minimum der Sonnenaktivität noch verlängert wurde. Die Ergebnisse zeigen einen Zusammenhang zwischen Klimaänderungen und deren Einfluss auf kulturgeschichtliche Ereignisse. Die Studie kann im Original heruntergeladen werden.

Im Rahmen großer internationaler Projekte wie zum Beispiel Pages2k werden Daten von Klimamodellen mit empirischen Rekonstruktionen verglichen. Ebenso steht die Frage im Raum, welche konkreten Aussagen Klimasimulationen eines vollen glazial-interglazialen Zeitraums der letzten 130000 Jahre liefern. Innerhalb des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Projekts PALMOD werden hierauf Antworten gesucht. Die Arbeitsgruppe um Dr. Eduardo Zorita ist an einem Teilprojekt beteiligt.

Abgeleitete Hydroklima-Anomalien bezogen auf den Mittelwert des verwendeten Jahrtausends.

Abgeleitete Hydroklima-Anomalien bezogen auf den Mittelwert des verwendeten Jahrtausends. Oben: Werte aus Proxydaten. Unten: Werte aus Klimasimulationen. Darstellung: HZG/ Dr. Eduardo Zorita

In einer Veröffentlichung im Fachjournal „Nature“ hat Zorita mit seinen Kollegen aus Schweden und der Schweiz das Hydroklima (Feuchte und Dürre im Zusammenhang mit der Temperatur) der Nordhemisphäre der letzten 1200 Jahre anhand von Proxydaten rekonstruiert. Demnach gingen Trockenheitsperioden in den Subtropen häufig einher mit deutlich feuchteren Phasen in höheren Breiten und umgekehrt. Regionale Trockenereignisse im mittleren Westen der USA hingegen hingen nicht zwangsläufig auch mit hohen Temperaturen zusammen.

Die Proxydaten lieferten hier also keinen eindeutigen Zusammenhang zwischen Hydroklima und Temperaturentwicklung. Die Wissenschaftler verglichen die Statistiken mit Modellsimulationen. Fazit: Für die vorindustrielle Zeit gab es gute Übereinstimmungen, anders für das 20. Jahrhundert. Hier wurden die mittleren Hydroklimaanomalien aus den Simulationen nicht durch die Rekonstruktion über Proxydaten gestützt. Auch diese Studie kann in Einzelheiten im Original nachgelesen werden.

Abweichungen der Oberflächentemperatur in europäischen Sommermonaten (JJA) bezogen auf das Gebietsmittel.

Abweichungen der Oberflächentemperatur in europäischen Sommermonaten (JJA) bezogen auf das Gebietsmittel. Links: Simulationen mit dem Modell MPI-ESM-P. Rechts: Simulationen mit dem Modell CCSM4. Darstellung: HZG/ Dr. Eduardo Zorita

Erst vor wenigen Tagen erschien eine weitere Veröffentlichung unter Beteiligung der HZG-Wissenschaftler. Zorita und seine Kollegen aus Großbritannien zeigten darin, dass die Zugbahnen nordatlantischer Stürme über Europa einzig durch sogenannte interne Klimavariabilitäten bestimmt werden. Dazu zählen natürliche Prozesse innerhalb des Klimasystems wie zum Beispiel Wechselwirkungen zwischen Atmosphäre und Ozean oder zwischen den Bodenschichten und der Biosphäre. Ein Beispiel ist das El Nino-Phänomen, bei dem die Oberflächentemperaturen in einem Teil des pazifischen Ozeans stark erhöht sind.

Diese Änderung der Meeresoberflächentemperaturen hat wiederum Auswirkungen auf die atmosphärische Zirkulation. Solche Ereignisse tragen also dazu bei, dass Sturmsysteme bestimmte Wege über das nördliche Europa einschlagen. Externe Antriebe wie Treibhausgase, solare Einstrahlung sowie Vulkanausbrüche oder menschliche Einflüsse haben keinen Anteil daran gehabt, zumindest in den letzten Jahrhunderten. Die Studie ist ebenfalls im Fachblatt „Nature Geoscience“ erschienen und online lesbar.

Paläoklimatologen arbeiten meist interdisziplinär. Empirische Rekonstruktionen werden oft durch Geologen und Biologen durchgeführt, die Klimasimulationen wiederum häufig von Physikern, Informatikern oder Mathematikern. Wer sich mit dem Klima der erdgeschichtlichen Vergangenheit beschäftigen möchte, findet Wege über klassische Studiengänge im Bereich der Geowissenschaften. Die Arbeit als Paläoklimatologe fordert zudem Kenntnisse und Interesse an Programmierung und Statistik.

Wissenschaftliche Veröffentlichungen


Weiterführende Informationen


Kontakt


Dr. Eduardo Zorita
Dr. Eduardo Zorita

Abteilung Paläoklima und Statistik

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Oliver Weiner
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Presse- und Öffentlichkeitsarbeit

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