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Die perfekte Form für Pauline & Yasmine

Mit einer „Wetternachhersage“ lässt sich in die Zukunft blicken: In Flensburg werden mithilfe von Wetterdaten der Vergangenheit Schiffe von morgen gebaut. Denn die von Geesthachter Küstenforschern entwickelten Wettermodelle lassen Rückschlüsse auf das Seegangsverhalten von Schiffen zu, bevor diese gebaut werden.

Katja Wöckner-Kluwe und Ralf Weiße in der Werft der Flensburger Schiffbaugesellschaft

Katja Wöckner-Kluwe und Ralf Weiße in der Werft der Flensburger Schiff baugesellschaft. Foto: Hereon/Christian Schmid

Die promovierte Schiffbauingenieurin Katja Wöckner-Kluwe benutzt in ihrer Arbeit für die Flensburger Schiffbaugesellschaft die Daten des Instituts für Küstenforschung, um zum Beispiel sicherere Schiffe zu entwickeln oder ein für Passagiere komfortables und bedarfsgerechtes Seegangsverhalten für die Schiffe einzuplanen.

coastDat, so der Name des Datenprojekts, steht seit einigen Jahren den Konstrukteuren für die simulierten Schiffsbewegungen zur Verfügung. Angefangen hat die Zusammenarbeit zwischen den Küstenforschern und der Flensburger Werft Anfang der 2000er Jahre. Damals wurden von den Konstrukteuren Seegangsdaten für die Nordsee gesucht. Konkret ging es um Daten für ein geplantes Fährschiff auf der Route Immingham in England und dem belgischen Zeebrügge. Die Flensburger wollten wissen, mit welchen Wellenhöhen in dem Gebiet zu rechnen ist. Genau diese Daten hatten die Küstenforscher im Vorläufer von coastDat, dem Projekt HIPOCAS, bereits ermittelt.

Der Küstenforscher und Leiter der Abteilung Küstenklima Ralf Weiße erinnert sich: Die Konstrukteure fragten sich, wie oft müssen wir auf dieser Route die Ladung laschen oder festmachen und brauchen wir gegebenenfalls zusätzliche Stabilisatoren.

Katja Wöckner-Kluwe ergänzt: „Ich habe zwar nicht an diesem Auftrag mitgearbeitet, ich weiß aber, dass damals Daten gesucht wurden, um damit ein Schiff virtuell durch den Seegang auf dieser Route fahren zu lassen.“

Dr. Ralf Weiße und Dr. Katja Wöckner-Kluwe im Gespräch

Foto: Hereon/Christian Schmid

Die Wetterdaten der Küstenforscher werden dazu in der Simulationssoftware der Werft eingesetzt. Die Software berechnet aufgrund der coastDat-Daten die zu erwartenden Schiffsbewegungen. Im Fall von Yasmine und Pauline, den beiden damals geplanten Frachtfähren, wurden maßgeschneiderte Schiffe für den Einsatzort auf der England-Route gebaut. Denn in der modernen Schifffahrt ist Zeit Geld. Laschen der Lastwagen an Deck bedeutet Zeitverlust. Katja Wöckner-Kluwe: „Durch eine angepasste Gestaltung der Rumpfform oder anderer Maßnahmen wie Rolldämpfungsstabilisatoren, können wir das Seeverhalten des Schiffs verbessern.“ So wird die Fahrplantreue der Schiffe verbessert oder die Schiffe liegen stabiler im Wasser, je nach Anforderung.

Dr. Ralf Weiße und Dr. Katja Wöckner-Kluwe laufen zur Fähre

Schon fast fahrbereit: Bei dieser neuen Fähre wurde die Bugtür aufgrund vorausgehender Berechnungen ausgelegt. Foto: Hereon/Christian Schmid

Sicherheitsaspekte spielen ebenfalls eine Rolle bei dem Schiffsdesign: Für die aktuell in der Weft liegende Fähre, die im Seegebiet vor Schottland unterwegs sein wird, wollte die Schiffbauingenieurin wissen, mit welcher Geschwindigkeit und Kraft das Wasser auf die Bugpforte trifft, die sich vorne am Schiff befindet. Katja Wöckner-Kluwe: „Wir haben die Relativgeschwindigkeiten zwischen Welle und Schiff berechnet. Daraus können dann die Kräfte bestimmt werden, die auf die Bugtür wirken. Dazu haben wir in unserer Simulation geschaut, bei welchem Seegang gibt es besonders hohe Relativgeschwindigkeiten und somit Kräfte. Die Dimensionierung der Bugpforte richtet sich dann nach diesen Kräften.“

Dr. Ralf Weiße und Dr. Katja Wöckner-Kluwe in der Fertigungshalle vor dem Bau eines Schiffes

Foto: Hereon/Christian Schmid

Diese Sicherheitsberechnungen werden auch gemacht, damit sich ein Unglück wie das der Estonia nicht wiederholt. Nach dem Unglück von 1994, bei dem fast 900 Menschen starben, wurde ermittelt, dass die Estonia-Bugklappe bei schwerem Seegang und bei den auftretenden Kräften abriss. Dabei waren die Daten für den Schiffbau eher ein Nebenprodukt im Projekt coastDat, beziehungsweise dem Vorläufer HIPOCAS. Ursprünglich wollten die Geesthachter Wissenschaftler wissen, wie sich Sturmfluten oder extreme Seegänge in der Nordsee über lange Zeiträume ändern.

Dazu Ralf Weiße: Die Datenlage ist sehr dünn. Es gibt vereinzelt Daten von Messbojen oder Stationen auf hoher See, aber keine kontinuierlichen Messreihen über viele Jahrzehnte, die mit immer der gleichen Methodik erfasst wurden.

Dr. Katja Wöckner-Kluwe

Foto: Hereon/Christian Schmid

Das kann zu Fehlinterpretationen führen. Ändert sich zum Beispiel die Messmethodik, können Trends vorgetäuscht werden, die in der Realität nicht existieren. Zusätzlich gibt es über Zeiträume von 40 oder 50 Jahren natürliche Klimaschwankungen, die eben keine Tendenz in die eine oder andere Richtung zeigen.“ Wissenschaftler weltweit haben deshalb Methoden entwickelt, um möglichst genaue Aussagen für Gebiete oder Regionen zu erhalten, für die kaum Messungen existieren. Die Technik, die sich bei geringer Datenlage durchgesetzt hat, beruht darauf, die Modelle mit den Messdaten zu verbinden. Auch der coastdat-Datensatz beruht auf einem solchen Ansatz. Ausgehend von globalen Modellrechnungen, in die vorhandene Messungen integriert wurden, entwickeln die Hereon-Forscher mit den von ihnen produzierten numerischen Modellsimulationen Aussagen an Stellen, für die keine realen Messungen existieren. "Wir treffen Aussagen über Parameter wie Wind oder Wellenhöhe aufgrund der numerischen Modelle. Letztlich entstehen dabei zum Beispiel Häufi gkeitsverteilungen der Windund Wellenrichtungen. Wir machen also quasi eine Wettervorhersage rückwärts", so Ralf Weiße.

Katja Wöckner-Kluwe: Für die Zukunft sind wir sehr daran interessiert, unsere Schiffe auch in einer virtuellen Ostsee oder anderen Regionen fahren zu lassen. Wir bekommen auch Anfragen von Kunden für Schiffe, die dort fahren werden.“

Heidrun Hillen

Autorin Heidrun Hillen traf sich mit den beiden Interviewpartnern in Flensburg. Foto: Hereon/Christian Schmid

Und das erfolgreich: Der coastDat-Datensatz kann das Seegangsklima von 1958 bis heute abbilden, es entsteht eine virtuelle Nordsee für die vergangenen 50 bis 60 Jahre. Eine wichtige Erkenntnis, die die Küstenforscher aus diesen Daten ableiten, ist, dass die Sturmaktivität über Jahrzehnte hin beträchtlichen Schwankungen unterworfen ist, langfristig aber kein Trend zu erkennen ist. Trotzdem laufen Sturmfl uten heute etwa 20 Zentimeter höher auf als noch vor 100 Jahren. Dies führen die Wissenschaftler auf den Anstieg des mittleren Meeresspiegels zurück, durch den das Ausgangsniveau von Sturmfl uten heute generell höher liegt. Mit coastDat lassen sich nicht nur die Klimaänderungen der marinen Umwelt bewerten und das Schiffsdesign anpassen, auch für die Planung und die Logistik von OffshoreWindparks oder für Risikobewertungen sind die Statistiken interessant. Auch andere Regionen sind von Interesse. Wer weiß, vielleicht werden schon bald Schiffe über die Ostsee fahren, die aufgrund der Hereon-Daten optimiert wurden. Das würde Küstenforscher Ralf Weiße sicher freuen. „Beim Stapellauf von Yasmine sind wir dabei gewesen. Das war schon ein erhebender Moment, als unsere Daten in Form des Schiffs ins Wasser gelassen wurden.“


Autorin: Heidrun Hillen
Erschienen in der in2science #1 (Dezember 2014)