Strömungsberechnung mal anders
Wenn herkömmliche Methoden nicht mehr reichen, dann muss man sich etwas Neues ausdenken – das gilt auch in der Forschung. Wissenschaftler des Instituts für Küstenforschung nutzen jetzt Drohnen, um Strömungsgeschwindigkeiten von Flüssen zu messen und kleinere Wellen zu untersuchen.

Betreiben Küstenforschung mit der Drohne (von links nach rechts): Doktorand Michael Streßer, Abteilungsleiter Dr. Jochen Horstmann und Ingenieur Ruben Carrasco Alvarez. Foto: Hereon/Jan-Rasmus Lippels
Der Himmel ist leicht bewölkt, die Elbe fließt gemächlich an der Stadt Lauenburg vorbei und ein paar Enten watscheln durch die Gegend. Die Mitarbeiter des Instituts für Küstenforschung, Abteilung Radarhydrographie, schauen jedoch nicht auf das Wasser – sondern in die Luft. Dort oben fliegt eine Drohne mit einer Kamera. Gesteuert wird sie von Michael Streßer, Doktorand im Institut für Küstenforschung in der Abteilung Radarhydrographie. Seine Kollegen, Dr. Jochen Horstmann und Ruben Carrasco Alvarez, beobachten die Situation. Die drei Wissenschaftler wollen herausfinden, wie hoch die Strömungsgeschwindigkeit an dieser Stelle der Elbe ist. Genauer gesagt wollen sie herausfinden, ob ihre neue Methode mit der Drohne so gut funktioniert, wie sie sich das gedacht hatten.
Lineare Wellentheorie – was ist das?
Die lineare Wellentheorie besagt, dass sich Wellen, je nach ihrer Länge, unterschiedlich schnell bewegen. Theoretisch wissen die Forscher also, sobald sie die Länge einer Welle bestimmt haben, genau, wie schnell sie läuft – vorausgesetzt, es gäbe keine Strömung. Fast immer ist jedoch Strömung vorhanden, egal ob Bach, Fluss oder das Meer – das Wasser ist immer in Bewegung. Deshalb müssen die Forscher zunächst messen, wie schnell sich die Wellen tatsächlich bewegen, dann ziehen sie die Werte aus der Theorie ab. Die Differenz, die dabei herauskommt, ist die eigentliche Strömungsgeschwindigkeit. Das ist ähnlich wie bei einer Rolltreppe erklärt Michael Streßer: „Wer weiß, wie schnell ein Fußgänger eine normale Treppe hochgeht, und dann misst, wie lange der Fußgänger braucht, wenn er auf der Rolltreppe von unten nach oben läuft, kann diesen Wert von der Geschwindigkeit des Fußgängers abziehen und erfährt so, mit welcher Geschwindigkeit sich die Rolltreppe bewegt.“
Was hat die Drohne damit zu tun?

Foto: Hereon/Jan-Rasmus Lippels
Bisher haben die Hereon-Wissenschaftler Radarmessungen für Strömungsberechnungen genutzt. Diese sind jedoch aufwändig und liefern eine gröbere Auflösung. Für Messungen im offenen Meer ist das auch immer noch eine gute Variante. Bei kleinen Wellen unter einem Meter Länge, so wie manchmal in der Elbe, sind jedoch feinere und höher aufgelöste Bilder von Vorteil. Mit der Drohne werden nun Filmaufnahmen der Wellenbewegungen gemacht, die anschließend ausgewertet werden. Dabei wird flächendeckend die mittlere Strömung der oberen zehn Zentimeter erfasst. Außerdem sind die Wissenschaftler mit einer Drohne viel flexibler und können schneller von Ort zu Ort kommen. So können größere Gebiete schneller und effektiver erfasst werden als mit herkömmlichen Messungen. Auch ist die Drohne insgesamt deutlich kostengünstiger als alle herkömmlichen Messgeräte zur Strömungsmessung. Mit einer Drohne können die Wissenschaftler innerhalb von fünf Minuten ein Strömungsprofil der Elbe erstellen.
Jochen Horstmann und seine Kollegen haben die Drohne erst ein paar Mal im Einsatz gehabt. Im Moment testen sie noch, wie gut die Ergebnisse sind und untersuchen, welchen Einfluss andere Parameter wie zum Beispiel die Lichtverhältnisse auf die Aufnahmen und somit auf die Ergebnisse haben. Zum Vergleich werden deshalb auch Profile mit einem Strömungsmesser, dem sogenannten Acoustic Doppler Current Profiler (ADCP), aufgenommen. Hierbei wird die Relativgeschwindigkeit des Wassers gegenüber dem Schiff gemessen, woraus sich die Absolutgeschwindigkeit berechnen lässt. Dazu fährt das Hereon-Forschungsboot „Zwergseeschwalbe“ über die Elbe und fährt das Gebiet im Zick-Zack-Kurs ab, was mit einem relativ großen Zeitaufwand verbunden ist. Dasselbe Gebiet wird von der Drohne in nur wenigen Minuten vermessen, während sie in einer bestimmten Position über dem Fluss verharrt.
Was passiert mit den Videoaufnahmen?

Dr. Jochen Horstmann leitet die Abteilung Radarhydrographie im Institut für Küstenforschung. 2016 setzen er und sein Team auch Drohnen zu Forschungszwecken ein. Foto: Hereon/Jan-Rasmus Lippels
Zurück im Forschungszentrum werden die Videoaufnahmen der Drohne auf dem Computer ausgewertet. Dort wird mit Bildverarbeitungsmethoden eine Art Raster über die Aufnahmen gelegt. So erhalten die Forscher fünf Mal fünf Meter große Bereiche, die sie dann genauer analysieren können. Anschließend kommt ein von den Wissenschaftlern selbst entwickeltes Programm zum Einsatz, mit dem letztendlich die Strömungsgeschwindigkeiten berechnet werden können. Um eine Minute Videomaterial auszuwerten, brauchen die Forscher etwa eine Stunde. Dabei muss das Material gesichtet, Berechnungen angestellt und überlegt werden, wie plausibel die Ergebnisse sind. Einige Wochen und viele weitere Probeflüge später verkündet Dr. Jochen Horstmann: „Die Ergebnisse von Drohne und Forschungsboot stimmen ziemlich gut überein. Das zeigt, dass unser Vorgehen funktioniert.“ Trotzdem müssen die Auswertungsmethoden noch weiter optimiert werden, um Fehler zu minimieren.

Hier ist nun der Ausschnitt der Elbe vor Lauenburg zu sehen, den die Küstenforscher mit einer Drohne gefilmt haben. Das Gebiet ist 300 mal 160 Meter groß. Anschließend haben sie die Fläche in quadratische Teilgebiete unterteilt und jeweils Länge und Periode der Wellen bestimmt. Dadurch können sie die Oberflächenströmung des Flusses berechnen. Die Größe der Pfeile zeigt die Strömungsgeschwindigkeit an.
Im Dienst der Forschung
Was Jochen Horstmann und seine Kollegen in kleinem Maßstab an der Elbe testen, ist in Zukunft auch bei größeren Messvorhaben denkbar. Wie beeinflussen sich die Wellen gegenseitig? Welche Strömungsgeschwindigkeiten herrschen in kleinen Verwirbelungen? Diese Fragen und noch viele weitere versuchen die Wissenschaftler aus dem Institut für Küstenforschung nun zu beantworten.
Mögliche Anwendungen: Was nützt die Strömungsberechnung?
Kenntnisse über Strömungen, Wellen und Verwirbelungen im Wasser ermöglichen es, dass gefährdete Bereiche erkannt und geeignete Küstenschutzmaßnahmen effizient geplant und umgesetzt werden können. Auch kann mithilfe der Strömungsgeschwindigkeit eine Aussage darüber getroffen werden, wie viel Wasser zum Beispiel die Elbe in einer bestimmten Zeiteinheit hinunterfließt. Diese Angaben können für weitere Forschungen von Bedeutung sein: Wenn beispielsweise Küstenregionen untersucht werden, wo ein Fluss in das Meer fließt, kann das Volumen des Wassers, das dort einfließt, entscheidend sein. Strömungen beeinflussen maßgeblich die Umlagerung von Sand und Schlick. Sie sind verantwortlich für den Transport von Nährstoffen – aber ebenso auch von Schadstoff en. Eine schnelle und effiziente Messung von Strömungen aus der Luft kann demnach beispielsweise auch bei der Bekämpfung von Ölkatastrophen oder ähnlichen Unfällen helfen. Außerdem ist eine genaue Kenntnis der örtlichen Strömungsverhältnisse beispielweise notwendig, um eine sichere Navigation von Schiffen zu gewährleisten. Mithilfe der Strömungsgeschwindigkeitsberechnung via Drohne wäre es zusätzlich möglich, an Stränden bessere Aussagen darüber zu treffen, an welchen Stellen geschwommen werden kann und welche Bereiche zu starke Strömungen enthalten und somit zu gefährlich sind.
Autorin: Gesa Seidel (Hereon)
Erschienen in der in2science #4 (Juni 2017)