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Die Wirbeljäger gehen in die Luft

Ein Flug mit der ozeanographischen Lupe - im Luftschiff Meereswirbeln auf der Spur

Das Zeppelin gleitet durch die Wolken

Foto: iStock/ Hiob

Er wirkt von unten riesig. Zugleich trotz seiner 75 Meter Länge elegant, denn er landet im Vergleich zu einem Sportflugzeug fast lautlos und nur 10 Meter von mir entfernt. Wie ein Boot richtet er sich an der Festmacherleine mit dem Wind aus. Ein Grund mehr, warum man bei einem Zeppelin von einem Luftschiff und nicht von einem Flugzeug spricht.

Das Bodenpersonal winkt mich herbei und gibt das Kommando schnell einzusteigen, denn der nächste Flug für die Wissenschaft soll nach kurzem Zwischenstopp wieder starten. Ich begleite heute Prof. Burkard Baschek, Leiter am Institut für Küstenforschung des Hereon und seine Kollegen der Abteilung „Fernerkundung“ bei dem letzten Zeppelin-Testflug über dem Bodensee.

Zügig erhebt sich das Luftschiff und der Pilot steuert vom Flughafen Friedrichshafen zur Rheinmündung des Bodensees. Der Zeppelin ist seit Ende der Neunziger Jahre fast jeden Tag hauptsächlich für Rundflüge im Einsatz, sodass die Route für die zweiköpfige Crew der Zeppelin Luftschifftechnik GmbH fast schon Routine ist. Anders für die Forscher des Helmholtz-Zentrums Hereon.

Die Geesthachter Küstenforscher

Das Zeppelin in der Wartungshalle

"Wir fliegen morgens los und wissen nicht, was uns bis zur Landung an neuen wissenschaftlichen Fragestellungen erwartet." - Prof. Burkard Baschek. Foto: Hereon/ Torsten Fischer

Die Geesthachter Küstenforscher untersuchen kleine Meereswirbel und testen den Zeppelin sowie ihr Equipment heute für einen zukünftigen Forschungseinsatz über der Ostsee. Während die großen Meeresströmungen wie der Golfstrom schon länger untersucht werden, weiß man über kleine Meereswirbel mit einem Durchmesser von 100 Metern bis zu fünf Kilometern derzeit noch sehr wenig. Im wahrsten Sinne des Wortes sind diese übersehen worden, da Umweltsatelliten mit einer Auflösung von einem Kilometer nicht jeden Wirbel erfassen können und diese meist nur zwischen sechs Stunden und einem Tag existieren. Obwohl die kleinen Wirbel im Vergleich zu den gigantischen Meeresströmungen winzig wirken, ist ihre Bedeutung in mehrfacher Weise groß.

Grafik der Wirbeljagd im Ozean

Der Zeppelin dient als zentrale Schnittstelle, von der aus die anderen Messinstrumente sowie
Fahrzeuge koordiniert werden. Foto: Hereon/ Torsten Fischer

Der Wind treibt die großen Strömungen der Weltozeane an, die als Wärmepumpe des globalen Klimas gelten. Dieser Energiefluss geht in immer kleineren Wirbeln wieder verloren. Weiterhin vermuten Wissenschaftler, dass die Hälfte der gesamten weltweiten mikroskopisch kleinen Meeresalgen, das sogenannte Phytoplankton, von diesen Wirbeln abhängen. Dieses Phytoplankton steht am Anfang der Nahrungskette und liefert einen großen Teil des Luftsauerstoffs der Atmosphäre. „Wir vermuten, dass die kleinen Wirbel auch die Wanderbewegungen von Fischen beeinflussen“, erläutert Baschek. „Aber hier sollten wir erst einmal parken“. Der Pilot bremst den Zeppelin ab und wir stehen nahezu bewegungslos über dem Bodensee.

aufgewühltes Wasser

Vom Zeppelin aus gut zu sehen: Das vom Rhein in verschiedenen Farben und Schattierungen aufgewühlte Wasser. Foto: Hereon/ Torsten Fischer

Die Wissenschaftler nutzen für ihre Arbeit zwei besondere Kameras. Eine hochsensible Infrarotkamera erstellt Temperaturkarten der Wasseroberfläche und erfasst 100 Bilder pro Sekunde. Diese Thermalkamera misst selbst kleine Temperaturunterschiede von 0,035 Grad Celsius. Damit werden Strömungen berechnet und kleine Wirbel aufgespürt. „Im Zeppelin stehen wir im Gegensatz zu einer Flugzeugkampagne oder einer Satellitenmessung permanent über dem Wirbel und vermessen diesen mit einer hohen Pixelauflösung von unter einem Meter“, erklärt Wolfang Cordes, der als Wissenschaftler am Institut für Küstenforschung seit vielen Jahren Wasseroberflächen aus der Luft untersucht. Seine Kollegen haben zeitgleich den Wirbel mit der sogenannten Hyperspektralkamera im Blick. Dieses Gerät zeichnet bis zu 1000 verschiedene Bänder des Lichtspektrums auf und bestimmt so die „Farbe“ des Wassers. Dr. Rüdiger Röttgers, Leiter der Abteilung Fernerkundung am Hereon: „Wir hoffen langfristig damit auch Aussagen über den Zustand und das Wachstum der Algen aus der Luft treffen zu können“, fügt er hinzu. Immer wieder werden neue Wirbel aufgespürt, die Flughöhe verändert und die Technik auf Herz und Nieren überprüft.

Die Forscher im schwebenden Labor

Im schwebenden Labor sind die Forscher den Wirbeln mit hochsensiblen Kameras auf der Spur. Die Wissenschaftler scheinen zufrieden, die Anspannung fällt sichtlich ab, ihre Messgeräte laufen. Foto: Hereon/ Torsten Fischer

Schließlich gibt Burkard Baschek das Kommando und der Pilot tritt die Rückreise zum Flugplatz an. „Klar, wir müssen noch einige Stellen unserer Kameras justieren, sind aber mit den ersten Tests und dem Zeppelin als Forschungsplattform sehr zufrieden“, fasst Baschek die Tage in Friedrichshafen zusammen. So bleibt auf dem Rückflug Zeit, die Aussicht auf die Schweizer Berge zu genießen und über die Pläne für das kommende Jahr zu sprechen. „Wir werden aller Voraussicht nach den Zeppelin im Sommer 2016 für eine Wirbelexpedition in der Ostsee nutzen. Er ist dann nicht nur mit unseren Kameras ausgerüstet und als eine Art fliegende ozeanografische Lupe im Einsatz, sondern wird von oben die Schiffe unter ihm dirigieren.“ Um auch das Innere der Wirbel zu untersuchen, werden die Kollegen auf dem Wasser mit Schnellbooten und dem Hereon-Forschungsschiff „Ludwig Prandtl“ die Wirbel ansteuern. Dabei kommen geschleppte Messsysteme in verschiedenen Wassertiefen und automatische Glider zum Einsatz. Diese liefern eine Vielzahl von zusätzlichen ozeanografischen Daten.

Land in Sicht

Foto: Hereon/ Torsten Fischer

Das sicher gelandete Luftschiff wird festgemacht und in den Hanger des Flughafens verholt. Am Boden ist die Arbeit der Küstenforscher jedoch noch lange nicht vorbei. So weisen externe Techniker die Kollegen in die Möglichkeiten der Hyperspektralkamera ein. Außerdem steht die Datenauswertung in Geesthacht bevor. Vorher müssen sämtliche Messgeräte ausgebaut und in den Transporter geladen werden.
Dazu Rüdiger Röttgers:
„Nicht nur Daten erheben und analysieren gehört zu unseren Aufgaben. Ein Küstenforscher muss auch Kisten packen können.


Autor: Torsten Fischer
Erschienen in der in2science #2 (Juli 2015)