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Teambildung erfolgreich

Netzwerk für Zukunftsfragen

Hamburgs Klimaforscher bündeln ihre Kräfte in einem neuen Exzellenzcluster: Knapp 200 Wissenschaftler engagieren sich im interdisziplinären Verbund CLICCS. Darin analysieren sie nicht nur die globale Entwicklung des Klimas, sondern beraten auch Städte und Gemeinden, die sich auf künftige Szenarien einstellen wollen. Expertinnen und Experten des Hereon sind Teil des Großprojekts.

Mähdrescher auf Feld.

Foto: Fotolia/Johan Larson

Erst vor Kurzem mussten Verkehrspolizisten wieder warnen: Heftige Sandstürme fegten in einigen Regionen Norddeutschlands über Autobahnen und Landstraßen. Mithilfe von Radiodurchsagen wurden Autofahrer gebeten, ihr Tempo zu drosseln – die Sicht auf die Fahrbahn war eingeschränkt. Windböen hatten den Sand aufgewirbelt und von benachbarten Äckern auf den Asphalt getrieben: Nach Wochen ohne Regen waren die Felder ausgetrocknet – und das mitten im sonst niederschlagsreichen Frühling. Einige Landstriche im Norden Deutschlands würden Wüsten gleichen, berichteten Meteorologen damals.

„Szenarien wie diese machen deutlich, wie sehr der Klimawandel künftig unseren Alltag bestimmen könnte“, sagt Professor Detlef Stammer, Klimaforscher und Direktor am Centrum für Erdsystemforschung und Nachhaltigkeit der Universität Hamburg (CEN). Denn extreme Wetterereignisse wie derartige Dürreperioden könnten Deutschland in Zukunft häufiger heimsuchen, zeigen Studien. Umso wichtiger sei es, so Stammer weiter, dass Wissenschaftler nicht nur die globalen Klimaentwicklungen untersuchen, sondern insbesondere auch regionale Aussagen treffen.

Diesen Spagat wollen Hamburger Klimaforscher nun in einem neuen Forschungsprojekt wagen: Im Januar startete in der Hansestadt das Exzellenzcluster „Climate, Climatice Change, and Society“, kurz CLICCS, dessen Sprecher Ozeanograf Stammer ist. Knapp 200 Wissenschaftler engagieren sich in dem Verbund: Meteorologen, Geowissenschaftler und Experten für Klimamodellierungen zum Beispiel, aber auch Politologen und Konfliktforscher, Soziologen, Ethnologen und Juristen. Insgesamt vernetzen sich in der Initiative Fachleute aus 15 Disziplinen.

Von CLISAP zum CLICCS

Prof. Detlef Stammer.

Prof. Detlef Stammer. Foto: David Ausserhofer

Diese Zusammenarbeit von Natur-, Sozial- und Geisteswissenschaftlern ist seit vielen Jahren ein Markenzeichen der Hamburger Klimaforschung. Gemeinsam entwickelten die Experten zunächst das Forschungsprogramm CliSAP, das 2007 zum Exzellenzcluster wurde und dessen Förderung erst im vergangenen Jahr auslief. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft unterstützt das neue Programm CLICCS nun mit 38 Millionen Euro bis zum Jahr 2025. Es soll sich noch stärker auf regionale Entwicklungen und auf Strategien der lokalen Risikoabwehr konzentrieren.

Gesellschaftliche Prozesse werden dabei immer mitberücksichtigt:

  • Welche klimarelevanten Maßgaben setzt zum Beispiel die Politik?
  • Wie reagieren Bürgerinnen und Bürger auf Initiativen für den Klimaschutz?
  • Und wie schnell wandeln sich Branchen, die besonders viel Kohlendioxid freisetzen?

Bisherige Rechenmodelle konnten derartige Entwicklungen nur unzureichend berücksichtigen, obwohl diese Faktoren das künftige Klima stark beeinflussen. Diese Lücke will CLICCS nun füllen.

„Wir wollen nicht nur wissen, welche Klimaszenarien rein physikalisch möglich sind, sondern auch, welche besonders wahrscheinlich sind, wenn wir physikalische und soziale Entwicklungen gleichermaßen berücksichtigen“, erklärt Stammer eine Zielsetzung des CLICCS. Entsprechend groß ist die Spannbreite der Forschungsfragen, denen sich das Exzellenzcluster stellen will. Der Verbund betreibt zwar weiterhin wichtige Grundlagenforschung, untersucht daneben zum Beispiel aber auch die sozialen und politischen Risiken, die der Klimawandel birgt, oder analysiert, welche Schutzmaßnahmen sich in bestimmten Regionen als besonders sinnvoll erweisen.

Hamburg Climate Futures Outlook

Wichtige Zwischenergebnisse will das CLICCS dabei in einem jährlichen Bericht veröffentlichen, dem „Hamburg Climate Futures Outlook“. Aufgezeigt werden soll darin immer wieder auch, inwieweit die Ziele des Pariser Klimaabkommens erreicht werden könnten. „Viele Fakten liegen dafür schon auf dem Tisch, nun kommt es aber darauf an, wirksame Strategien zum Handeln zu entwickeln“, so Stammer.

Hinter dem Forschungsprogramm stehen außer dem CEN auch das Institut für Küstenforschung des Helmholtz-Zentrums Hereon (Hereon) sowie das Climate Service Center Germany (GERICS) des Hereon, das Max-Planck-Institut für Meteorologie und das Deutsche Klimarechenzentrum; beteiligt sind außerdem acht weitere Partnerinstitutionen. Inhaltlich teilt sich das Programm in drei Schwerpunkte auf mit insgesamt 14 Projekten: Forschungsbereich A betreibt naturwissenschaftliche Grundlagenforschung, Segment B widmet sich sozialwissenschaftlichen Themen und der Schwerpunkt C konzentriert sich auf lokale Klimaszenarien und die dafür notwendigen Anpassungsstrategien.

Innerhalb dieser Zweige ist die Bandbreite an Themen groß: Die Experten in Bereich A etwa untersuchen so unterschiedliche Regionen wie die Arktis und die Tropen oder vergleichen die Luftzirkulation in Wäldern und Städten. Mit Messungen, Experimenten und Satellitendaten, aber auch durch die Entwicklung noch feinerer Rechenmodelle wollen sie das Klimageschehen noch detailreicher abbilden. Zum Beispiel die Kohlenstoffflüsse in Küstenregionen: Aus Untersuchungen im Rahmen der CliSAP-Initiative wissen die Forscherteams, dass die Küstenmeere besonders viel CO2 aufnehmen können. Insofern spielt das Meer eine wichtige Rolle als Puffer: Ohne dessen Speicherkapazitäten wären die Auswirkungen des Klimawandels wohl schon heute viel deutlicher spürbar.

Starke Beteiligung des Instituts für Küstenforschung am Exzellenzcluster CLICCS

CO2-Aufnahme im Küstenmeer

Prof. Corinna Schrumm.

Prof. Corinna Schrumm. Foto: privat

„Wie diese Prozesse speziell in den küstennahen Gewässern genau funktionieren, ist aber noch unerforscht“, erklärt Professorin Corinna Schrum, Leiterin des Bereichs „Systemanalyse und Modellierung“ am Institut für Küstenforschung am Hereon. Die Ozeanografin wirkt federführend im Bereich A an dem Projekt „The Land-Ocean Transition Zone“ mit. Sie ist außerdem Mitglied des Koordinationsteams für den Forschungsbereich C und Mitglied des CLICCS-Vorstands.

Besonders interessant ist die Perspektive auf diese Meeresregionen, weil dort zeitliche, räumliche und saisonale Schwankungen innerhalb der Kohlenstoffkreisläufe beobachtet wurden. Doch eine systematische Analyse fehlte bislang. „Das wollen wir jetzt angehen“, so Schrum weiter. Außerdem will ihre Forschungsgruppe herausfinden, ob die Küstenmeere heute mehr CO2aufnehmen als noch vor einigen Dekaden.

Dazu werden die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in den kommenden Jahren neue und bereits vorhandene Daten zusammenführen. Corinna Schrums Ziel ist es, gemeinsam mit ihren Kollegen von der Universität Hamburg und dem Max-Planck-Institut für Meteorologie ein neues Ozeanmodell zu entwickeln, das global die Küsten höher auflöst: ICON-Coast, das später Bestandteil eines neuen Klimamodells wird. Mit dessen Hilfe wird die Arbeitsgruppe von Corinna Schrum die noch vielfach unverstandenen Austauschprozesse zwischen offenem Meer und den Küstenbereichen studieren – und damit beitragen zum Verständnis der globalen Klimaentwicklung.

Wissenschaft und Gesellschaft

Prof. Daniela Jacob.

Prof. Daniela Jacob. Foto: Hereon/Christian Schmid

Diese Wechselwirkungen zwischen lokalem und globalem Klima, zwischen physikalischen und sozialen Einflussfaktoren sollen aber nicht nur in der Theorie erforscht werden. Wichtig ist dem Team von CLICCS die enge Verzahnung mit der Praxis: Das generierte Wissen soll Entscheidern helfen zu bestimmen, welche Maßnahmen im Klimaschutz sinnvoll sind, und Städten und Gemeinden außerdem Wege aufweisen, wie sie sich auf den Klimawandel einstellen können.

Eine Rolle nimmt dabei das Climate Service Center Germany (GERICS) am Hereon ein. „Wir wollen Wissenschaft und Gesellschaft miteinander ins Gespräch bringen“, erklärt GERICS-Direktorin Professorin Daniela Jacob. Dazu sind die Wissenschaftler mit verschiedenen Institutionen im Austausch, etwa Landwirtschaftskammern und Wasserbehörden, Bauern- und Tourismusverbänden, Energieunternehmen und Schifffahrtsexperten.

Von den Vertretern dieser Einrichtungen wollen die Wissenschaftler wissen: Welche Fragen zum Klimawandel empfinden sie für ihre künftige Arbeit als besonders drängend? Verkehrsplaner zum Beispiel müssen vielleicht wissen, wie häufig sie künftig Straßentunnel sperren müssen, weil diese nach Starkregenereignissen nicht mehr passierbar sind, erklärt Jacob. „Unsere Aufgabe wird es sein, zu prüfen, ob unser heutiges Wissen ausreicht, um Antworten auf so konkrete Fragen zu liefern oder ob wir ein Gespräch mit einem Experten aus dem Kreis
der CLICCS-Forscher vermitteln können.“ Fehlt die passende Information oder der geeignete Experte, könnten die Wissenschaftler abwägen, ob die Anfrage so relevant ist, dass sie als neuer Aspekt in ihre Forschungsarbeit aufgenommen wird. So soll verhindert werden, dass die Klimaforschung des Clusters zur Einbahnstraße wird. „Wir stellen Wissen bereit, wollen von den Anwendern aber auch erfahren, welche Wissenslücken wir vielleicht bislang übersehen haben“, erklärt Jacob.

An zwei Projekten ist das GERICS direkt beteiligt: Am Beispiel der Metropolregion Hamburg untersuchen Wissenschaftler, welches Wassermanagement Städte künftig brauchen, die mit Stressfaktoren umgehen müssen wie Hochwasser, Starkregen, Sturmfluten und einem steigenden Grundwasserspiegel. Hier sind Stadtplaner mitunter gezwungen, ganz neue Ideen zu entwickeln, so Jacob, denn bestehende Ablaufsysteme können nicht immer einfach weiter ausgebaut werden: „Das Sielnetz in Hamburg kann, zum Beispiel aus baulichen Gründen, nicht an jedem Ort beliebig erweitert werden.“ Stattdessen könnten große Wassermengen künftig vielleicht gezielt auf Flächen geleitet werden, die sich kurzfristig als Auffangbecken eignen.

In einem weiteren Projekt unterstützen die GERICS-Wissenschaftler Forschungsarbeiten zu ländlichen Gebieten, wie sie sich gegen die Auswirkungen des Klimawandels wappnen können. Die Kommunen dort benötigen lokale, räumlich gut aufgelöste Informationen:

Wie wird sich das Klima speziell in ihrer Region künftig entwickeln? Antworten zu geben, ist nicht einfach, da sich der globale Klimawandel nicht überall gleich auswirkt: In einigen Gebieten nimmt der Niederschlag zu, in anderen nimmt er ab. Die Erwärmung kann unterschiedlich ausgeprägt sein. Hier sollen verfeinerte Rechenmodelle wichtige Antworten liefern. Entscheidend ist dabei, dass derartige Systeme einfach zu handhaben sind. „Wir wollen den Zugang zu den Modellergebnissen einfacher und anwenderfreundlich ermöglichen. Wir entwickeln für Nutzer passgenaue Produkte, die Daten und Informationen zu möglichen Klimaänderungen in Regionen nutzungsspezifisch vermitteln.“ Darüber hinaus wird in einem von der Helmholtz-Gemeinschaft finanzierten, unterstützenden Projekt für CLICCS ein Systemmodell entwickelt, das Nutzern die Möglichkeit bieten soll, durch einbinden eigener Informationen Effekte sozioökonomischer Faktoren mit den lokalen Auswirkungen des Klimawandels in Verbindung zu setzen. Insbesondere komplexe Zusammenhänge und Rückkopplungen sollen identifiziert und wirksame Anpassungsmaßnahmen entwickelt werden.

Ethische Klimafragen beantworten

Um Antworten auf solch komplexe Fragen zu finden, sei die Zusammenarbeit verschiedenster wissenschaftlicher Disziplinen unabdingbar, ist Detlef Stammer überzeugt. An dem jetzt gestarteten Projekt sei zum Beispiel auch ein Philosoph beteiligt, erklärt der CLICCS-Sprecher. Schließlich gehe es auch um entscheidende ethische Fragen: Wie lassen sich die gesellschaftlichen Konflikte, die der Klimawandel zwangsläufig mit sich bringen wird, möglichst gerecht lösen?

Insofern greift das Mammutvorhaben CLICCS nicht nur inhaltlich auf die Arbeit des Vorgängerprojekts CliSAP zurück. Auch organisatorisch profitiert es von der Erfahrung der lange geübten, interdisziplinären Zusammenarbeit. „Naturwissenschaftler und Sozialwissenschaftler arbeiten generell schon sehr unterschiedlich, da braucht es eine gewisse Neugier und Offenheit“, so Stammer. Über die Jahre aber seien die Hamburger Klimaforscher zu einem Team zusammengewachsen. Und das zahlt sich heute mit der Bestätigung als Exzellenzcluster aus: „Wir haben zehn Jahre Vorlauf, deshalb funktioniert nsere Zusammenarbeit heute wirklich exzellent.“


Autorin: Jenny Niederstadt
Erschienen in der in2science #8 (Juni 2019)