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Die Gespräche zwischen Körper und Metall

Was bewegt die Physikerin Prof. Regine Willumeit-Römer?

Willumeit Römer

Für Regine Willumeit-Römer ist die Teamarbeit in ihrem Institutsteil „Metallische Biomaterialien" (WB abgekürzt) unabdingbar. Foto: Hereon/Christian Schmid

Prof. Regine Willumeit-Römer leitet den Bereich Metallische Biomaterialien am Institut für Werkstoffforschung

Das Leben geht manchmal seltsame Wege. Im Herbst 2018 hat Prof. Regine Willumeit-Römer mit ihrem Teilinstitut ein neues Gebäude am Hereon bezogen. Dort erforscht ihr Team, wie sich Implantate aus Magnesium in unserem Körper verhalten. Was geschieht in diesem Grenzland zwischen Physik und Biologie, wo Metall auf menschliche Zellen trifft?

Doch am Beginn ihrer Karriere stand nicht das Interesse fürs mikroskopisch Kleine, sondern für dessen Gegenteil: „Mich hat als Kind das Weltall fasziniert. Mein Vater hat mir damals erklärt, dass das Licht Jahre braucht, um zur Erde zu kommen. Das wollte ich besser verstehen. Also habe ich angefangen, Bücher über Astrophysik zu lesen.“ Als Schülerin fährt sie aus ihrer westfälischen Heimat zur Hannovermesse, genauer: zum Stand von DESY. Denn sie will mehr erfahren über den Ort, an dem Forscher den Urknall simulieren. Sie knüpft Kontakte, ergattert eines der damals noch raren Schülerpraktika am Hamburger Teilchenbeschleuniger und opfert dafür ihre kompletten Sommerferien. „Dort habe ich Menschen aus der ganzen Welt getroffen“, erzählt Regine Willumeit-Römer. „Die haben sich beim Kaffee zusammengesetzt und neue Theorien diskutiert. Ich habe gedacht: Wow, so kann Arbeit also aussehen! Man bringt als Team eine Sache voran. Da wusste ich: Das will ich später auch mal machen!“

Also geht sie nach dem Abitur nach Hamburg, um Physik zu studieren. Sicher: Mathematik und Biologie waren ihre Leistungskurse – keine schlechte Vorbereitung. Doch ausgerechnet das Schulfach Physik hatte sie abgewählt.

„Kräfteparallelogramme und den freien Fall berechnen – das fand ich extrem langweilig. Das war nicht die Physik, die mich interessiert hat.“

Doch weil ihr im ersten Semester just diese Dinge wiederbegegnen, denkt Regine Willumeit-Römer bald ans Aufgeben. „Ich hatte die Exmatrikulation schon auf meinem Schreibtisch liegen und mit meinen Freunden sogar eine Abschiedsparty gefeiert. Dabei haben mich die anderen aber zum Weitermachen überredet. Wir haben das Papier noch am selben Abend zerrissen.“ Regine Willumeit-Römer hält durch und macht ihr Diplom. „Als Einzelkämpferin“, sagt sie, „hätte ich das niemals geschafft.“ Sie bekommt eine Doktorandenstelle am GKSS in Geesthacht, wo sie sich mit Proteinen befasst. Von der Astrophysik – „brotlose Kunst“ – hat sie sich zu diesem Zeitpunkt längst verabschiedet.

„Nach der Dissertation wollte ich unbedingt raus aus der universitären Forschung. Es gab auch schon ein lukratives Angebot aus der Industrie“, erzählt sie. Wieder ist es ein Impuls von außen, der alles verändert: Ihr Abteilungsleiter bekommt einen Ruf ins Ausland – der Institutsleiter fragt Regine Willumeit-Römer, ob sie die Nachfolge übernehmen will. „Das waren mehrere Karriere-Stufen auf einmal. Also habe ich zugesagt.“ Wieso die Wahl gerade auf sie gefallen ist? „Ich habe zuvor als Doktorandin Führungen für Besuchergruppen gemacht. Ich wollte wissen, was die anderen Abteilungen am Zentrum eigentlich machen. Im Nachhinein hat mir das sehr geholfen. Weil ich auf einmal viele Kollegen kannte und in eine Art Vermittlerrolle gekommen bin. Mein Institutsleiter hat damals gesagt: Du bist die einzige, die mir erklären kann, was eure Abteilung so treibt.“

Anfangs forscht sie in ihrer kleinen Abteilung an einer neuen Form von Antibiotika. Zum Metall kommt sie erneut durch eine Mischung aus Zufall, Teamwork und Kommunikation: Auf Anraten Ihres Institutsleiters entwickelt Regine Willumeit-Römer Beschichtungen für Titanimplantate und untersucht die biologische Reaktion.

„Irgendwann habe ich aber gemerkt, dass Magnesium das deutlich spannendere Material für solche Versuche ist.“

Denn Magnesium kann sich, anders als Titan, im menschlichen Organismus abbauen.

Heute erforscht der Institutsteil von Regine Willumeit-Römer Implantate aus Magnesium, etwa Schrauben, die gebrochene Knochen zusammenhalten. Da sie sich auflösen, spart man sich eine zweite Operation, in der man das Implantat wieder entfernt. Dies ist etwa bei Kindern der Fall: Deren Knochen wachsen – die Metallprothesen tun das aber nicht. Sie können also nicht im Körper verbleiben. Die Kosten für solche Folge-Operationen liegen allein in Deutschland bei mehr als einer Milliarde Euro pro Jahr.

Regine Willumeit-Römer beschreibt das Hin und Her der biochemischen Reaktionen zwischen Magnesium und menschlichen Zellen als „Unterhaltung“, als „Kommunikation“. Dieses Zwiegespräch, so sagt sie, endet erst, wenn die Schraube sich vollständig im Körper aufgelöst hat. Derzeit gibt es auf dem Markt nur einige wenige zugelassene Magnesium-Implantate, und die Chirurgen beobachten aufmerksam, wie sich das Material im Patienten bewährt. Regine Willumeit-Römers Hoffnung für die 15 verbleibenden Jahre ihrer Karriere? „Dass Magnesium irgendwann etabliert ist als Material, das in der Osteosynthese eingesetzt wird.“ Die Chancen dafür sieht sie „bei etwa 90 Prozent“. Dafür wird sie tun, was sie schon immer getan hat. Viel arbeiten. Mit vielen Menschen reden. Ein neugieriger Teamplayer bleiben. Und weiter zuhören beim geheimnisvollen Zwiegespräch zwischen Knochen und Metall.


Autor: Jochen Metzger
Porträt aus der in2science #7 (Dezember 2017)