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Thomas Klassen: Ein Ziel vor Augen

Was bewegt Materialforscher Prof. Dr. Thomas Klassen?

Prof. Thomas Klassen

Foto: Hereon/Christian Schmid

Prof. Thomas Klassen ist Leiter im Institut für Werkstoffforschung am Hereon.

In seiner Garage parkt ein merkwürdiges Gefährt: Die beiden Hinterräder stehen sehr dicht beieinander und die einzige Tür befindet sich an der Vorderseite. Man öffnet sie so, als wäre das Auto ein Kühlschrank. An dieser grünen Isetta (Baujahr 1957) kann man ablesen, wie Thomas Klassen (50) Wissenschaft betreibt, sie ist ein Symbol für seine akademische Laufbahn: eine Karriere zwischen Vision und Notwendigkeit, eine Vorliebe für praktische Anwendung, die sich speist aus Theorie und guter Vernetzung.

„Ich wollte immer etwas Handfestes machen, das die Gesellschaft weiterbringt“,

sagt Thomas Klassen, wenn er von seinen Anfängen erzählt. Nach dem Abitur studiert er Physik in Dortmund, alles ist dort Theorie, „ein Schock“, wie er heute sagt. Nach nur sieben Semestern beginnt er seine Diplomarbeit als einer der ersten seines Jahrgangs. „Ich wollte so schnell wie möglich mit dem theoretischen Kram durch sein, um mehr Zeit für die praktische Arbeit zu haben“, sagt er. Die Monate im Labor bezeichnet er als „die besten im gesamten Studium“.

Danach erhält er ein Angebot aus der Wirtschaft. Doch Thomas Klassen hat andere Pläne. „Ich wollte wirtschaftlich unabhängig sein, mich aber noch nicht inhaltlich festlegen.“ Für seine Promotion geht er zur damaligen GKSS. Nach drei Jahren und fertiger Promotion wechselt er in die USA, wo er ein Labor für Hochenergiemahlen und nanokristalline Werkstoffe aufbaut. Danach kehrt er als Abteilungsleiter zurück nach Geesthacht und habilitiert gleichzeitig an der TU Hamburg-Harburg. Anschließend bekommt er einen Ruf an die Hamburger Helmut-Schmidt-Universität und wird bald darauf Institutsleiter in Geesthacht.

„Ich fand es von Anfang an wichtig, dass sich möglichst viele Leute zusammenfinden, die an derselben Sache arbeiten“

sagt Thomas Klassen. Vernetzung als Prinzip: Seine Doktoranden sprechen von enormen Freiheiten „einhergehend mit großer Verantwortung“ für jeden Mitarbeiter. Bemerkenswert viele Projekte von Klassens Institut werden über EU-Kooperationen finanziert.
Von reinen Grundlagen-Forschern sagt man, ihr Treibstoff sei Neugier. Bei Thomas Klassen ist es umgekehrt: Seine Neugier gilt einem Treibstoff. Er träumt von einem Auto, mit dem man von Geesthacht nach Sizilien fahren kann, ohne ein einziges Mal tanken zu müssen. Die Energie dafür kommt aus einem chemischem Element, das im Periodensystem mit dem Buchstaben H bezeichnet wird, H für Wasserstoff.

Noch in den 90er Jahren gelten mobile Wasserstofftanks als unüberwindlicher Bremsklotz: Sie sind damals entweder zu groß oder zu schwer oder zu ineffizient. Könnte man die Probleme lösen, indem man Wasserstoff an Leichtmetallhydride bindet und bei Bedarf wieder freisetzt? In ersten Versuchen erscheint diese Variante jedoch als zu langsam: Es dauert mehrere Tage, um einen solchen Tank aufzuladen. Doch in den frühen 2000er-Jahren gelingt dem Team um Thomas Klassen der Durchbruch: Die Beladung ihres fein gemahlenen Hydrids gelingt in einer Minute.

Gemeinsam mit europäischen Partnern bauen sie damit einen kompakten und leichten Wasserstofftank, der in weniger als zehn Minuten befüllt werden kann. Die konkrete Anwendung fürs Auto könnte folgendermaßen aussehen: Klassens Wasserstofftank füttert eine Brennstoffzelle, die wiederum die Batterie eines Elektroautos speist und dadurch dessen Reichweite enorm steigert. Zum Tanken bräuchte man anders als heute kein Stromkabel mehr, sondern nur noch Wasserstoff. Statt für acht Stunden an der Steckdose zu hängen, wäre der Wagen nach wenigen Minuten wieder auf der Straße. Die einzige Emission während der Fahrt: reiner Wasserdampf.

Auch unter dem Stichwort der Energiewende ist die Arbeit der Geesthachter Wasserstoffforscher relevant. Dort steht man vor dem Problem, elektrische Energie kostengünstig und effizient zu speichern.

„Denn die Sonne scheint nur manchmal und auch der Wind bläst nicht immer – manchmal brauchen wir Strom, wenn gerade keiner produziert wird. Umgekehrt machen wir über Wind und Sonne manchmal viel mehr Energie, als wir gerade benötigen. Wir können heute schon mit Wasserstoff eine gute Speicherform für regenerativ erzeugten Strom bieten.“

Doch wie gut ist die mobile Anwendung? Damit der Wasserstofftank von Hereon in Elektroautos funktioniert, gibt es ein Problem: die Temperatur. In den ersten Studien benötigte man 300 Grad Celsius, um den gespeicherten Wasserstoff freizusetzen. „Inzwischen schaffen wir das schon bei 240 Grad“, sagt Thomas Klassen. Doch auch das ist derzeit noch zu viel: Moderne Brennstoffzellen arbeiten bei 120 bis 180 Grad. Es bleibt also eine Lücke von 60 Grad. „Genau daran arbeiten wir im Moment.“

Die Vision bleibt: Vielleicht werden unsere Autos in ein paar Jahren tatsächlich mit Wasserstoff fahren. Allerdings, so gesteht Thomas Klassen, spielen dafür auch viele politische Entscheidungen eine Rolle. Dass seine Arbeit zumindest technisch funktioniert, will er allerdings noch beweisen. Genau dafür hat er seine grüne Isetta gekauft.

„Diesen Wagen werde ich eines Tages auf Wasserstoff umrüsten. Er ist leicht und braucht deshalb wenig Energie. Und er hat genügend Platz für Tank und Brennstoffzelle.“

Wenn Thomas Klassen nach der Arbeit nach Hause kommt, sieht man auf den ersten Blick nur einen technikbegeisterten Familienvater, der alte Autos liebt. Doch in Wahrheit steht dort in seiner Garage: die Motivation und das Ziel für ein komplettes, erfülltes Arbeitsleben.


Autor: Jochen Metzger
Porträt aus der in2science #2 (Juli 2015)