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Die Küsten-Versteherin: Corinna Schrum

Was bewegt die Ozeanografin Prof. Corinna Schrum?

Prof. Corinna Schrum

Foto: privat

Prof. Corinna Schrum leitet den Bereich Systemanalyse und Modellierung am Institut für Küstenforschung

Wissenschaft hat viele Ziele. Das reinste und einfachste davon hat Goethe seinem Faust in den Mund gelegt: Man will erkennen, „was die Welt im Innersten zusammenhält“.

Diese Formel gilt auch für Prof. Corinna Schrum. Die Ozeanografin ist seit Oktober 2015 Institutsleiterin für den Bereich „Systemanalyse und Modellierung“ am Institut für Küstenforschung in Geesthacht. Die 55-Jährige hat einen ungewöhnlichen Karriere-Weg hinter sich.

Zur Ozeanografie kommt die Hamburgerin eher durch Zufall. „Wie junge Leute halt so sind: Man weiß noch nicht, was man will“, sagt sie. Was sie zu ihrem Studienfach bringt, ist aber keine schwärmerische Sehnsucht nach dem Meer, nach dem Rauschen der Wellen oder dem salzigen Geschmack der Luft. „Es war auch nie meine Motivation, die Wale zu retten“, sagt sie. „Mich hat von Anfang an die Theorie fasziniert.“ Den entscheidenden Anstoß gibt eine Informationsbroschüre der Hamburger Studienberatung. Dort steht zu lesen, dass es bei der Ozeanografie sehr viel um Physik und Mathematik gehe. „Das hat mich dann interessiert.“ Schon in der Schule hat Corinna Schrum einen Schwerpunkt auf die Naturwissenschaften gelegt. Und so geht das „Mathe-Mädchen“ zur Uni, um mit Zahlen und Formeln das Meer zu verstehen.

Das Studium selbst absolviert Corinna Schrum schon bald unter erschwerten Bedingungen. Bereits im 6. Semester wird sie Mutter. Später im Studium kommt ihr zweites Kind, das dritte, während sie an ihrer Dissertation arbeitet. Ihr Thema damals: die thermische Schichtung in der Deutschen Bucht. Wie in anderen Meeren kommt es dort zu einer „sommerlichen Schichtung“ mit einer warmen Deckschicht und einer kalten Tiefenwasserschicht, zwischen denen relativ wenig Austausch stattfindet. In den Küstenregionen der Deutschen Bucht jedoch ereignet sich gelegentlich auch ein anderes Szenario: „Dort ist die Gezeitendurchmischung an manchen Orten so stark, dass die Wassersäule auch im Sommer durchmischt ist. Und das führt dann dazu, dass mehr biologische Aktivität stattfindet“, erklärt Corinna Schrum. Bald nach der Doktorarbeit entdeckt sie das Leitthema ihrer wissenschaftlichen Karriere: die Kopplung von Physik und Biologie in ihren numerischen Modellen. Eine ihrer Studien untersucht zum Beispiel, wie sich die Erwärmung des Meeres auf das Wachstum und das Vorkommen von Kabeljau in der Nordsee auswirkt. Ihre Wissenschaft lässt sich nutzen, ihre Modelle erlauben Aussagen über die Zukunft:

„Was passiert mit einer Bucht, wenn ich einen Damm baue? Wenn sich das Klima wandelt? Wenn ich einen Windpark ins Meer setze?“

Der Wechsel von Bergen nach Geesthacht im Jahr 2015 ist für sie keine leichte Entscheidung. „Eigentlich wollte ich da gar nicht weg“, verrät sie. Nicht nur, weil ihre Familie noch immer in Norwegen lebt – ihr Ehemann mit den beiden jüngsten der inzwischen fünf Kinder. Auch das Land Norwegen, die Natur und das dortige System gefallen ihr. Vor allem, dass Hierarchien eine „deutlich geringere Rolle“ spielen, besonders im Verhältnis zwischen Professoren und Wissenschaftlichen Mitarbeitern. „Da traut man den jungen Leuten mehr zu und gibt ihnen auch mehr Verantwortung als hier bei uns in Deutschland.“

Warum sie trotzdem zurück nach Deutschland gekommen ist? „Ich habe immer gesagt: Wenn ich noch einmal wechseln möchte, dann nur nach Geesthacht zum Institut für Küstenforschung.“ Es ist das Thema Küste, das Corinna Schrum mit Leidenschaft fasziniert – die Königsdisziplin ihres Faches. „Denn dort treffen alle Elemente zusammen: das Meer, das Land, die Atmosphäre.“ Die Modellierung der Küste habe in den vergangenen Jahren enorme Fortschritte gemacht. Zwar seien die Bewegungsvorgänge in der Luft und im Wasser inzwischen recht gut erforscht. Die große fachliche Herausforderung der näheren Zukunft liege jedoch darin, die Wechselwirkungen zwischen diesen Kompartimenten besser zu verstehen. Ein weiterer Schwerpunkt, den Corinna Schrum für ihr Teilinstitut sieht: Sie möchte den direkten Einfluss des Menschen auf die Küste intensiver untersuchen. Von Interesse seien auch die Konflikte, die sich durch die gelegentlich konkurrierende Nutzung ergeben können – etwa wenn Touristen oder Fischer sich durch neue Offshore-Windparks gestört fühlen. All diese Aufgaben seien jedoch nur im Verbund mit anderen Wissenschaftlern zu bewältigen. „Als einzelner Forscher kann ich mein ganzes Leben lang an einem einzigen Prozess arbeiten, an einem einzigen Term. Aber das System Küste kann ich als Einzelforscher niemals verstehen.“ Dafür brauche es die Zusammenarbeit vieler. Das große Team voller Spezialisten.

„Ein solches Team findet man nur in Geesthacht. Das hat mich gereizt."

Corinna Schrum hat eine komfortable Position in Norwegen aufgegeben. Nicht aus Karrieregründen. Nicht wegen des Geldes. Sondern weil sie erkannt hat, wie begrenzt die Kraft eines Einzelnen ist. „So ist es nun mal in der Wissenschaft: Wir wissen alle viel – aber von den meisten Dingen wissen wir wenig oder nichts.“ Corinna Schrum will die Küste verstehen. Und vielleicht hat sie jetzt den Ort gefunden, an dem ihr das besser gelingen kann als irgendwo sonst auf der Welt.


Autor: Jochen Metzger
Porträt aus der in2science #4 (Juni 2017)