Der Magnesium-Papst: Karl Ulrich Kainer
Was motiviert Magnesiumforscher Prof. Karl Ulrich Kainer?

Foto: Hereon/Christian Schmid
Prof. Karl Ulrich Kainer ist Institutsleiter am Magnesium Innovation Centre MagIC am Hereon. Er ist der derzeit einflussreichste Magnesiumforscher der Welt. Am 1. Februar 2019 beginnt sein Ruhestand.
Karl Ulrich Kainer hat wenig Zeit. Er kommt gerade aus China. Dort wurde die größte Magnesium-Fabrik des Planeten eröffnet; Karl Ulrich Kainer stand auf der Gästeliste, um ein paar Grußworte zu entrichten. Jetzt sitzt er in Halle 5 am Stand E46 der Hannover Messe und wartet: Für 14 Uhr hat der Ministerpräsident von Schleswig-Holstein seinen Besuch angekündigt.
Am Hereon führt Karl Ulrich Kainer das Magnesium Innovation Centre MagIC als Institutsleiter. Draußen in der Welt jedoch hat man ihm einen anderen Titel verpasst. Im deutschsprachigen Raum nennt man ihn den „Magnesium-Papst“, in China und den USA den „Godfather of Magnesium“. Eine Forschungskonferenz im Jahr 2018 veranstaltete zu seinen Ehren ein komplettes Symposium. Wie schafft man so etwas?
Wenn Karl Ulrich Kainer redet, hört man die Sprachmelodie Nordrhein-Westfalens. „Meine Mutter wollte ja, dass ich Finanzbeamter werde“, erzählt er. Nach der Mittleren Reife besucht er deshalb die Höhere Handelsschule. „Ich habe aber bald gemerkt, dass ich nicht so der Typ dafür bin.“ Stattdessen absolviert er ein einjähriges Praktikum als Elektrotechniker und studiert nach dem Fachabitur an der FH Osnabrück.
„Dass ich ein Handwerk gelernt habe, hat mir immer geholfen. Ich habe in den Semesterferien als Industrie-Elektriker gearbeitet. Kabel legen, Schaltungen erstellen, Maschinen reparieren – das hat mir immer Spaß gemacht.“
Zur Freude am Handwerk gesellt sich wissenschaftliche Neugier. Statt sich nach dem Diplom einen Job in der Industrie zu suchen, geht Karl Ulrich Kainer an die TU Clausthal und studiert Werkstoffkunde. Er beschäftigt sich mit Stahl, Kupfer, Aluminium – Metall wird sein Gemüse, sozusagen.
Das Element Magnesium gerät eher zufällig in seinen Blick. „Die Automobilindustrie hat sich damals sehr für das Thema interessiert“, sagt Karl Ulrich Kainer. Natürlich: Magnesium ist extrem leicht und zugleich stabil, es kann kostengünstig recycelt werden – und steht als Rohstoff fast unbegrenzt zur Verfügung. Spätestens in den 1990er Jahren wird Magnesium deshalb zum großen Versprechen für die Automobil-Industrie: weniger Gewicht, weniger Treibstoffverbrauch, weniger CO2-Ausstoß. In einem seiner ersten Projekte entwickelte Karl Ulrich Kainer mit BMW ein faserverstärktes Magnesium-Bauteil für einen Formel-1-Motor. „Ich habe erst Jahre später erfahren, dass meine Entwicklung zumindest ein Rennen lang tatsächlich gefahren ist.“ Die komplette Spezialisierung auf Magnesium folgt dann mit seiner Habilitation im Jahr 1996 und seinem Ruf nach Geesthacht im Jahr 1999. Karl Ulrich Kainer ist zu diesem Zeitpunkt 46. Am 1. Januar 2000 wird er in Geesthacht Institutsleiter. „Damals war ich mein einziger Mitarbeiter.“ Doktoranden, feste Mitarbeiter, Abteilungsleiter und ein eigenes Institutsgebäude folgen erst nach und nach.
Bei der Entwicklung von Magnesium-Blechen sieht Karl Ulrich Kainer das MagIC heute als „die Nummer eins weltweit“. Umso tragischer, dass im Sommer 2017 ein Feuer ausgerechnet die dazu benötigte Gießwalzanlage zerstört. „Wenn sie wieder aufgebaut ist, wird die Anlage Industrie 4.0-fähig, also mit Sensoren ausgestattet und digital steuerbar sein. So hat die Sache vielleicht auch ihre gute Seite.“ Besonders spannend sei außerdem das Thema Oberflächenbeschichtung, das derzeit am MagIC erforscht wird. Magnesium ist „hochreaktiv“. Wie kann man es beschichten, damit es nicht korrodiert? Diese Frage hält Karl Ulrich Kainer für „absolut zukunftsweisend“. Denn wer herausfindet, wie man Magnesium vor Korrosion schützt, dem wird es erst recht bei anderen Materialien gelingen.
Wie er selbst zum Elder Statesman der Magnesium-Forschung werden konnte?
„Glück ist dabei eine wesentliche Größe. Man trifft Entscheidungen, ohne zu wissen, ob sie fruchtbar sein werden. Man macht es eben, weil man das Thema toll findet.“
Außer der Begeisterung für die Sache und einer gewissen Beharrlichkeit war wohl ein dritter Faktor entscheidend: Karl Ulrich Kainer ist ein geborener Netzwerker. Bereits 1998 organisiert er eine erste Magnesium-Tagung. Heute trifft sich die Wissenschafts-Community alle drei Jahre. „Das sind rund 600 Leute aus der ganzen Welt.“ Den Kollegen zuhören, offen mit ihnen reden – und das auch über Fragen, für die man derzeit noch keine Lösung hat: Karl Ulrich Kainers Grundsätze klingen, als kämen sie aus einem Start-up-Handbuch fürs Silicon Valley. Offenbar waren sie vor 20 Jahren schon so erfolgreich wie heute.
Am 1. Februar 2019 beginnt für den Magnesium-Papst der Ruhestand. „Da gibt es zwei Möglichkeiten“, sagt er. „Entweder die Option Auslaufmodell – oder den Cold Turkey.“ Ein Kollege habe einst auf einer Verabschiedung eines Kollegen am Hereon das Bild jener Dampflok gezeigt, die 1895 am Gare Montparnasse den Prellbock, den Bahnsteig und die Bahnhofsmauer überrollt hatte und dann auf der Straße gelandet war wie ein gestrandeter Wal. Die Warnung, sagt Karl Ulrich Kainer, sei bei ihm angekommen. „So möchte ich mich am ersten Tag im Ruhestand auf keinen Fall fühlen.“ Er wird dem Hereon als Berater erhalten bleiben. Gut möglich, dass ihm das hilft, die rasante Fahrt seiner Karriere ein wenig sanfter zu beenden.
Autor: Jochen Metzger
Porträt aus der in2science #6 (Juni 2018)