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Die Trainerin der Stammzellen

Was bewegt Abteilungsleiterin Prof. Dr. Nan Ma?

Prof. Dr. Nan Ma

Foto: Hereon/Gesa Seidel

Prof. Dr. Nan Ma leitet die Abteilung „Polymere in Regeneration“ im Institut für Biomaterialforschung.

„Die Materialwissenschaft ist ein großartiger Forschungsbereich – wir haben nicht nur die Möglichkeit, Grundlagenforschung zu betreiben und Entdeckungen zu machen, sondern können Lösungen liefern. Lösungen für die größten Herausforderungen der Medizin. Das ist ein wahnsinnig gutes Gefühl!“, erzählt Nan Ma mit funkelnden Augen. Die Begeisterung dafür, dass sie in der Forschung arbeiten kann, sieht man der gebürtigen Chinesin sofort an. Nan Ma arbeitet am Institut für Biomaterialforschung in Teltow. Dass sie nach ihrem Medizinstudium und der Promotion in Singapur in Deutschland gelandet ist, verdankt sie ihrem inneren Antrieb, mehr erreichen zu wollen, und ihrem Mut, neues Land zu betreten. Die heute 48-Jährige wollte als Kind Journalistin werden, aber nach der Schule war für die Tochter zweier Akademiker klar: Medizin sollte es sein. Schnell merkte sie nach ihrem Studium in Changchun jedoch, dass sie als praktizierende Ärztin mit Schwerpunkt auf Mund- Kiefer-Gesichtschirurgie immer wieder an Grenzen kam. Nicht an ihre eigenen, sondern an die der Technik. „Ich habe viele Patienten leiden sehen, beispielsweise an Zungenkrebs. Wir hatten nur die Möglichkeit die Praktiken anzuwenden, die wir gelernt haben. Oft hieß das: alles betroffene Gewebe herausschneiden“, erinnert sie sich. „Zwischen Gesprächen mit Oberärzten, Patienten und Schwestern waren die einzigen ruhigen Stunden die im OP-Saal. „Das hat mir nicht gereicht, mein Kopf war immer voll, ich hatte keinen Raum zum Denken und für die Wissenschaft.“

Daraufhin ging Nan Ma zunächst nach Beijing, um ihren Master in Immunologie zu machen. Für die anschließende Promotion entschied sie sich für Singapur – das Forschungsthema im Bereich Gentherapie lockte sie. Praktisch, dass ihr Ehemann dort eine Position im Bereich der Materialwissenschaften innehatte. Kurz vor der Geburt ihrer Tochter veröffentlichte sie mit ihrer Arbeitsgruppe eine Publikation, die es auf die Titelseite des Fachjournals Molecular Therapy schaffte. Damit konnte sie das tun, was ihr immer schon besonders lag: die Grenzen des bereits Erforschten hinter sich lassen und Neues ausprobieren.

In Singapur boten sich ihr zahlreiche Möglichkeiten: Forschungsgelder, Equipment, Ressourcen. Nan Ma war nicht nur die erste Doktorandin des Instituts und eine der wenigen Frauen, sie hatte auch die Aufgabe, ein Labor komplett neu aufzubauen und auszustatten. Doch sie wollte Europa kennenlernen.

Nur mit einem Koffer kam sie 2003 für eine Post-Doc-Stelle nach Deutschland, um in der Herzchirurgie der Universität Rostock zu arbeiten. „Ich hatte keine Winterkleidung dabei, schließlich wollte ich nur ein halbes Jahr bleiben. Der Kulturschock war zu Beginn immens. Es gab ja noch nicht mal ein chinesisches Restaurant in Rostock! Mein Mann hat meine Karriere sehr unterstützt, deshalb zog meine Familie kurze Zeit später nach Deutschland.“ Dieser Mut hat sich gelohnt: Im Rahmen eines Sonderforschungsbereichs lernte die Wissenschaftlerin Andreas Lendlein kennen, den Leiter des Hereon-Instituts für Biomaterialforschung in Teltow. „Er hat an mich geglaubt und mir vorgeschlagen, mich als Nachwuchsgruppenleiterin in der Helmholtz-Gemeinschaft in Rostock zu bewerben. Ich hätte es nicht erwartet, aber den Job habe ich bekommen.“

Fünf Jahre später, 2011, kam sie als Abteilungsleiterin nach Teltow, wo sie mithilfe der Unterstützung von Andreas Lendlein ein Labor und eine Gruppe aufbaute. Bereits 2013 wurde sie für eine gemeinsame Professur für Biomaterialcharakterisierung mit der Freien Universität Berlin berufen. Das wichtigste Equipment waren für die Molekularbiologin damals schon die konfokalen Mikroskope. „Ich kann etwas erst glauben, wenn ich es sehen kann.“ Was sie mit ihren mehr als zehn Mikroskopen beobachtet, ist faszinierend: Sie schaut Stammzellen beim Wachsen zu und versucht deren Entwicklung mit physikalischen Faktoren zu beeinflussen. Auf eine Publikation ist sie besonders stolz: Anfang 2020 konnte sie zeigen, dass man Stammzellen mithilfe einer besonderen Polymerfolie antrainieren kann, sich zu Knochenzellen zu entwickeln. Die Folie wirkt wie ein künstlicher Muskel mit einem Formgedächtnis, der auf Temperaturveränderungen reagiert.

Im Moment bewegt sich die Arbeit von Nan Ma und ihrem Team noch im Bereich der Grundlagenforschung. Sie träumen davon, dass ihre Forschung irgendwann dabei helfen kann, verschiedenste medizinische Probleme zu lösen.

„Für mich sind die Stammzellen wie kleinste Computer. Wenn wir lernen, wie wir sie gezielt programmieren können, sind wir einen großen Schritt weiter.“

Die Zellen könnten beispielsweise lernen, sich zu Hautzellen zu entwickeln, die nach großflächigen Verbrennungen eingesetzt werden könnten. Am Knochen können sie Brüche heilen, Herzzellen würden Transplantationen ersetzen und Herzkrankheiten heilen.

„Ich bin eine sehr schüchterne Person. Meine liebste Arbeit ist die im Labor, wenn ich mich voll auf die Wissenschaft fokussieren kann. Ich sehe es als ein Privileg an, so arbeiten zu dürfen.“

Nan Ma forscht bereits seit vielen Jahren– ihre Ausdauer trainiert sie auch beim Sport. Am liebsten geht sie zum Spinning ins Fitnessstudio. Sie lebt mit ihrem Mann und den zwei Kindern in Berlin. „Hier merkt man den Kulturunterschied deutlich weniger als in Rostock. Berlin ist multikulturell – und es gibt eine große Auswahl an hervorragenden chinesischen Restaurants“, schmunzelt Nan Ma.


Autorin: Gesa Seidel (Hereon)
Erschienen in der in2science #10 (Dezember 2020)