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Der Beamline-Wissenschaftler: Jörg Hammel

Wie man ein 90 Meter langes Mikroskop betreut

Dr. Jörg Hammel

Illustration: SCHUMACHER konzept.design
Hintergrund: Hereon/C. Schmid, Porträt: Hereon/B. Peters, grafische Elemente: © iStock/ODV; the-lightwrite; naqiewei; Vijay kumar

Dr. Jörg Hammel arbeitet in der Röntgenbildgebung mit Synchrotronstrahlung am Institut für Werkstoffforschung

Petra III, Sektor 4, P05 – wir befinden uns an der hellsten Speicherring-Röntgenstrahlungsquelle der Welt. Es ist Donnerstagmittag. Gestern hat Dr. Jörg Hammel bis zwei Uhr nachts gearbeitet. Trotzdem wirkt er total euphorisch, als er von seiner Arbeit an der Beamline berichtet.

In dem Raum, in dem wir uns befinden, sind fünf Arbeitsplätze, jeder ausgestattet mit mehreren Bildschirmen. Von hier aus können Experimente gesteuert und beobachtet werden, hier werden die Daten angezeigt und alles kontrolliert.

Jörg Hammel ist ein Beamline-Wissenschaftler. Gemeinsam mit seinen Kollegen betreut er die Beamline P05, die an den Speicherring PETRA III in Hamburg angeschlossen ist. Die ganze Anlage befindet sich auf dem DESY-Campus, die Beamline gehört zum Hereon.

„Wir arbeiten quasi an einem 90 Meter langen Mikroskop, um winzige Proben anzuschauen – das ist irre!“

Die Proben sind unterschiedlichster Art: „Wir haben schon das Schmelzen von Magnesiumlegierungen untersucht, die Ausbildung einer Korrosionsschicht bei biologisch abbaubaren Implantaten, den Anschluss der menschlichen Achillessehne im Knochen, Kalksandsteinablagerungen und Haiknochen – und das sind nur wenige Beispiele“, so der Wissenschaftler. Aus dem Speicherring kommt ein Röntgenstrahl, der gebündelt auf die zu untersuchende Probe trifft. „Wir haben ein Sichtfeld von 7x7 Millimetern. Wollen wir größere Proben untersuchen, müssen wir verschiedene Messungen machen und anschließend zusammenrechnen.“

Aufgewachsen ist Jörg Hammel in Schwäbisch-Hall, in der Nähe von Stuttgart. Dort hat der heute 38-Jährige Technische Biologie studiert. „Ich habe schnell gemerkt, dass Grundlagenforschung das ist, was mich antreibt. Es ist so spannend, wenn man neuen Ideen nachgehen kann.“ Anschließend promovierte er an der Friedrich-Schiller-Universität Jena im Bereich Zoologie. Sein Thema: marine Schwämme. „Das sind die einfachsten vielzelligen Lebewesen, die wir kennen – sie haben weder Nerven noch Muskeln. Trotzdem reagieren sie auf neuroaktive Substanzen und können sich bewegen. Das waren sehr spannende Forschungsobjekte“, erzählt er.

„Mich hat damals schon interessiert, was hinter den Dingen steckt. Wie funktioniert das? Warum ist das so? Und wie können wir das noch besser untersuchen?“

Heute lebt er mit seiner Frau und den beiden Kindern in Hamburg. „Die Nähe zum Wasser wiegt die fehlenden Berge auf“, meint er schmunzelnd.

Während wir uns unterhalten, kommt ein Kollege herein und hat eine kurze Nachfrage. Jörg Hammel wendet sich dem Bildschirm zu, es sind etwa sieben verschiedene Fenster mit Zahlen und Befehlen zu sehen. Auch wird angezeigt, was die Kamera an der Beamline gerade aufnimmt. „Wir untersuchen gerade die Atmungsorgane von Insekten. Hier sieht man in die Organe einer Grillen-Art“, erklärt er mir. Ein paar Klicks und sein Kollege ist zufrieden. Es kann weitergehen.

Schon während seines Studiums hatte Jörg Hammel Kontakt zur P05 und den Wissenschaftlern dort. Die Beamline selbst wurde 2009 eingerichtet – er war bei den ersten Experimenten als Nutzer dabei. „Mich hat damals schon die qualitativ hochwertige Technik hier fasziniert“, berichtet er. „Es gibt hier so viele Möglichkeiten der Weiterentwicklung – und wir haben die Chance, diese Entwicklung mit voranzutreiben, das ist großartig!“ Nach kurzen Forschungsaufenthalten in Amsterdam und Jena ergriff der Wissenschaftler seine Chance, als 2014 eine Stelle frei wurde. „Sie suchten jemanden, der sich mit der Anlage auskennt und aus dem Bereich Lebenswissenschaften kommt. Das passte perfekt.“

Die Messzeit an der Beamline ist stark reglementiert. 80 Prozent werden an externe Nutzer vergeben. Diese können Anträge stellen, die dann ein Vergabesystem und eine Expertenkommission durchlaufen. Maximal eine Woche erhalten sie dann an der Beamline. Die Zeit wird voll ausgenutzt: Wer nur 72 Stunden für sein Projekt bekommt, schläft möglichst wenig. Jörg Hammel und seine Kollegen betreuen die externen Projekte und haben auch Bereitschaftsdienst. „Zum Glück können wir viel von zuhause über den PC regeln. Denn Anrufe nachts um halb drei sind nicht ungewöhnlich“, erklärt er. Die restlichen 20 Prozent der Betriebszeit werden intern vergeben. Die nutzen sie für Inbetriebnahme, Weiterentwicklungen und eigene Projekte.

„Wir arbeiten hier an der Grenze des Machbaren“

„Demnächst haben wir ein Wochenende mit Messzeit nur für uns – da freuen meine Kollegen und ich uns wie Bolle drauf! Im Moment arbeiten wir an zeitaufgelösten Messungen, im Prinzip 4-D. Das ist wie 3-D, nur, dass zusätzlich noch die Zeit mit einbezogen wird. Dann können wir dynamische Prozesse und Bewegungen beobachten.“ Im Moment schaffen sie mit der Technik schon 20-Sekunden-Aufnahmen bei sehr guter Qualität. Das funktioniert aber nur mit guter Teamarbeit: Vier Wissenschaftler arbeiten hier gemeinsam mit Ingenieuren zusammen. Auch mit dem Technikum des Hereon wird viel zusammengearbeitet. „Viele Geräte gibt es nicht von der Stange, schließlich machen wir hier cutting-edge Wissenschaft.“


Autorin: Gesa Seidel (Hereon)
Erschienen in der in2science #7 (Dezember 2018)