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Der Blick in die Zukunft

Was bewegt Geschäftsführer Prof. Wolfgang Kaysser?

Wolfgang kaysser am Schreibtisch

Foto: Hereon/Jan-Timo Schaube

Professor Wolfgang Kaysser (68) ist Wissenschaftlicher Geschäftsführer des Helmholtz-Zentrums Hereon.

Das ist ein idealer Job für einen Materialforscher, der weiß, wie aus Atomen die Strukturen, Gefüge und letztlich große Teile entstehen; der gelernt hat, aus den kleinen Bausteinen ein Ganzes zu machen.

Die Sprachmelodie verrät es sofort: Wolfgang Kaysser stammt aus dem Schwäbischen. Kindheit und Jugend erlebt er in Winnenden bei Stuttgart. Als Junge verbringt er viel Zeit auf dem Bauernhof der Großeltern, er trainiert im Judo-Club und fährt Ski, letzteres mit besonderer Hingabe: Nach dem Abitur leistet er seinen Wehrdienst bei den Gebirgsjägern. Anschließend studiert Wolfgang Kaysser ein Semester lang Maschinenbau in Stuttgart. Doch mit 800 Leuten im selben Hörsaal sitzen? „Ich habe gemerkt: Da wirst du dich nicht entfalten können.“

So bringt der Blick in die eigene Zukunft den Wechsel zur Metallkunde. Hier kommen drei Professoren auf sechs Studenten pro Jahrgang – ein Fach mit einer Sozialstruktur, in der Leistung erwartet und die Begeisterung für das Studium gefördert wird. Das passt besser. Schon bald beginnt er einen Job als studentische Hilfskraft am nahen Max-Planck-Institut. Er betreut ein Experiment, das sich mit dem Benetzungsverhalten von Metallen befasst.

„Auf einmal war ich ganz nah dran an der Forschung, das hat mir wahnsinnig viel Spaß gemacht.“

Am Institut macht Wolfgang Kaysser schnell Karriere: Noch vor seinem 30. Geburtstag ist er Gruppenleiter. Dass es nicht dabei bleibt, liegt erneut an einem Blick in die Zukunft. „Ich wollte selbst Entscheidungen treffen und nicht irgendwann als älterer Forscher einen jungen Institutsdirektor über mir haben.“ Also schickt Wolfgang Kaysser seine Bewerbungen in die Welt. Ihm öffnen sich zwei Optionen: Ein Ruf an die Universität des Saarlandes und die Institutsleitung der Werkstoffforschung am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt in Köln. „Die Welten von Universität und Max Planck kannte ich schon – also habe mich für das Großforschungsinstitut entschieden.“ Dadurch verändert sich seine berufliche Rolle: Jetzt steuert Wolfgang Kaysser hauptsächlich die Forschung anderer, statt selbst zu forschen. Eine „tolle Zeit“ sei das in Köln gewesen. Er nimmt Reitstunden – die ersten seines Lebens –, engagiert sich im Karneval und fährt mit seinem Rennrad durchs Bergische Land. Kurz nach der Jahrtausendwende erreicht ihn schließlich eine Anfrage aus dem Norden. Sein Institut ist zu diesem Zeitpunkt ebenso erwachsen geworden wie seine beiden Kinder. So wechselt Wolfgang Kaysser 2003 als Wissenschaftlicher Geschäftsführer zur damaligen GKSS.

Was ist das Wichtigste in einer solchen Position?

„Man muss herausfinden, wofür man als Zentrum stehen will. Was an unserer Forschung kann auch in fünfzehn Jahren einen wichtigen Beitrag leisten? Darum geht‘s!“

Manchmal müsse man ein Forschungsfeld deshalb neu erfinden. Wie in der Membranforschung, wo Wolfgang Kaysser in Geesthacht bald für einen Paradigmenwechsel sorgt: Man konzentriert sich nun auf die Arbeit mit neuartigen Polymeren. „Das war eine zukunftsweisende Entscheidung. Ohne sie würden wir am Zentrum heute wohl keine Membrane mehr machen.“ Für einen Geschäftsführer, so lernt man, zählt die Zukunft oft mehr als die Gegenwart.

Laut einer Redensart kennt ein Schwabe genau zwei Lebenspflichten: den Fleiß – und das „Häuslebaue“. Wolfgang Kaysser macht da keine Ausnahme. Auch am heutigen Hereon gehen zahlreiche Gebäude auf seine Initiative zurück. „Ein Zentrum lebt von der Erneuerung in seiner Forschung und in seiner infrastrukturellen Substanz. Das Bauen hat immer auch etwas mit Stabilisierung zu tun.“

Bei den herausragenden Entwicklungen der Forschung im Hereon in den letzten zehn Jahren reihen sich energiesparender funktionaler Leichtbau, saubere Mobilität durch Wasserstoff und körpereigene Regeneration durch Biomaterialien aneinander. „Wir denken heute schon in den Systemen von morgen, auch in der Küsten- und Klimaforschung. Wie verändern unsere Entscheidungen von heute die Küstenmeere der Zukunft? Solche Fragen müssen beantwortet werden. Dafür forschen wir.“ Besonderen Stolz empfindet er heute auf das Climate Service Center GERICS, das „ohne Blaupause“ aus einem einfachen Projekt heraus entstanden ist. Ein „Marsch durch den Dschungel“ sei das gewesen. „Da stecken viel Arbeit und zähe Beharrlichkeit drin.“ Auch die Magnesium-Forschung am Hereon sei eine enorme Erfolgsgeschichte. Hier gehöre man inzwischen zu den „drei, vier großen Playern weltweit“.

Ende August verabschiedet sich Wolfgang Kaysser als Geschäftsführer. Wie es danach für ihn weitergeht, will er nicht verraten. Fest steht jedoch: Nur noch sein italienisches Carbon-Rennrad
fahren und auf dem Balkon die Blumen gießen – dabei würde ihm „bald langweilig werden“. Man könnte schon mal Wetten abschließen. Auch in den kommenden Jahren wird Wolfgang Kaysser das tun, was er in seinen 16 Jahren am Hereon getan hat. In die Zukunft blicken. Und danach gute Entscheidungen treffen.


Autor: Jochen Metzger
Erschienen in der in2science #8 (Juni 2019)