"Land unter" in Bleckede: GERICS-Wissenschaftler lassen Stadt volllaufen
Eine globale Erwärmung von bis zu zwei Grad Celsius wird auch in Deutschland Naturräume, Wirtschaftssektoren und Lebensbereiche verändern. So zeigt etwa das vom Climate Service Center Germany (GERICS) herausgegebene Buch „Klimawandel in Deutschland“, dass sich die winterlichen Starkniederschläge verstärkt haben. Durch diese Regenmengen stoßen die Entwässerungsinfrastrukturen von Städten an ihre Grenzen.
Damit Städte und Gemeinden zukünftig nicht häufiger „Land unter“ sehen, berät sie GERICS-Wissenschaftler Dr. Markus Groth in Bezug auf eine klimaangepasste Stadtentwicklung. Dazu nutzt er den GERICS-Stadtbaukasten (siehe Infokasten). Dieses modulare System basiert auf dem aktuellen Kenntnisstand der Forschung und lässt sich flexibel, stadtspezifisch anwenden.
Die Elbe-Stadt Bleckede ließ sich als eine der ersten Städte zum Thema „Wasser in der Stadt“ von den GERICS-Spezialisten beraten. Jens Böther, der Bürgermeister der rund 10.000 Einwohner zählenden Gemeinde in der niedersächsischen Elbtalaue, bespricht mit Markus Groth die Ergebnisse.

Jens Böther (links) und Dr. Markus Groth (rechts) in Bleckede. Die Straße, die im Hintergrund zu sehen ist, ist bei Starkregen schnell überflutet. Die Feuerwehr pumpte im Mai 2017 die Keller und Tiefgaragen der Stadt aus und Gullis wurden geöffnet, um die Bahn wieder befahrbar zu machen.
Foto: Hereon/ Christian Schmid
Der Klimawandel mit seinen Folgen für Umwelt, Wirtschaft und Gesellschaft stellt Städte und Gemeinden in Deutschland vor unterschiedliche Herausforderungen. Welchen muss sich Bleckede stellen?
Jens Böther: Die Folgen des Klimawandels erreichen uns in unterschiedlichen Bereichen. Zum einen liegen wir direkt an der Elbe, hier haben wir 2002, 2006, 2011 und 2013 Hochwasser gehabt, die Katastrophenalarm in der Region ausgelöst haben. Als Antwort darauf haben wir zwischen 2007 und 2014 neue Deiche gebaut. Diese Hochwasser gab es davor über Jahrzehnte nicht. Für uns ist klar, hier hat sich etwas verändert. Außerdem ist Starkregen zum Thema geworden. 2016 gab es zwei und in 2017 schon dreimal Starkregen mit überlasteter Kanalisation und entsprechend vollen Kellern und Straßen.
Dr. Markus Groth: Es gibt regionale Klimaprojektionen für die Elbtalaue, die zeigen dass die Sommer trockener werden und dass es im Herbst, Winter und Frühjahr eher mehr Niederschläge geben wird. In der Summe bleibt die Niederschlagsmenge im Jahresdurchschnitt etwa gleich. Bei den zukünftigen Veränderungen der Starkregenereignisse kann man keine klaren Aussagen treffen. Erste Beobachtungen und Berechnungen zeigen allerdings, dass die Niederschlagsmenge, die in einem sommerlichen Starkregenereignis fällt, mehr wird. Es ist somit zu erwarten, dass das Schadensrisiko durch Starkregenereignisse weiter zunehmen wird.
Was genau passiert bei so einem Starkregenereignis und wie wird bislang darauf reagiert?
Jens Böther: Wir hatten zwei Brennpunkte: In der Innenstadt die Industriestraße und den Nindorfer Moorweg. Das ist die Abflussachse des Flüsschens Bruchwetter. Die Straßen waren blank überflutet, die Feuerwehr war unterwegs und hat die Keller ausgepumpt. Das Wasser floss nicht ab. Teilweise waren die Rohre bis oben hin versandet, weil etwa die ganze Ackerkrume abgegangen ist und bei uns in der Regenwasser-Kanalisation gelandet ist. Da schauen wir jetzt genau hin. Denn in den letzten Jahrzehnten sind hier Infrastrukturen geschaffen worden, die das Regenwasser heute nicht mehr aufnehmen.
Herr Böther, warum lassen Sie gerade das Abflussverhalten durch das GERICS erforschen?

Gute Kooperation trotz unterschiedlicher Vorlieben: HSV-Fan Jens Böther macht es nichts aus, wenn Markus Groth lieber aus seiner Pauli-Tasse trinkt.
Foto: Hereon/ Christian Schmid
Jens Böther: Hochwasser der Elbe sind sehr gut erforscht und wir wissen, damit umzugehen. Mit Starkregenereignissen haben wir noch wenig Erfahrung. Wir mussten bei den Ereignissen die Regenwasserzuläufe und die Rohre spülen, die durch Gras und Sand verstopft waren. Das kostet die Stadt Bleckede viel Geld, dadurch kommen schnell fünfstellige Summen zusammen. Jetzt wollen wir nicht nur an den Symptomen arbeiten, sondern wir wollen die Ursachen zu fassen kriegen. Was führt zu der vollgelaufenen Kanalisation? Dabei geht es uns in Bleckede um eine wassersensible Stadtentwicklung.
Herr Groth, wie sind Sie wissenschaftlich vorgegangen? Wie wurde der Stadtbaukasten eingesetzt?

Bürgermeister und Wissenschaftler im Gespräch.
Foto: Hereon/ Christian Schmid
Dr. Markus Groth: Zum einen haben wir in den betroffenen Stadtgebieten 600 Bewohner befragt und zusätzlich Einsatzdaten der Freiwilligen Feuerwehr ausgewertet. Dabei haben wir viele Informationen zu den Schadensereignissen erhalten, aber auch erfahren, wie gut die Bevölkerung informiert ist und welche Maßnahmen schon ergriffen wurden. Das sind zum Beispiel Bau von Drainagen, Sicherung der Eindringwege oder Auftriebsschutz für Ölheizungen.
Gab es methodische Herausforderungen in der Untersuchung?
Dr. Markus Groth: Mit unserem Partner, der Tauw GmbH, haben wir zudem ein Starkregenereignis modelliert. In der Simulation haben wir Bleckede mit umgerechnet 60 Litern Wasser pro Quadratmeter volllaufen lassen und geschaut, was dabei herauskommt: Wo sammelt sich das Wasser? Wo kann es ablaufen? Der Ansatz dieses Modells ist Standard. Neu ist aber, dass dies in einem sehr ebenen Gebiet simuliert und mit einer Befragung zu historischen Ereignissen evaluiert wird. Das Modell weist dabei eine Genauigkeit von 1x1 Meter auf.
Jens Böther: Mich hat beeindruckt, wie sehr die Ergebnisse unsere Erfahrungen widerspiegeln. Wir haben gesehen: Genau das ist unser Problem, hier haben wir in den letzten Jahren Erfahrungen mit Überflutungen gemacht.
Es muss schnell reagiert werden, um die regionalen Klimafolgen durch Anpassungsmaßnahmen so klein wie möglich zu halten. Welche Maßnahmen schlägt das GERICS vor?

Die Karte von Bleckede zeigt die Simulation eines Starkregenereignisses. Blau bis rot sind die Bereiche eingezeichnet, die überflutet würden.
Foto: Hereon/ Christian Schmid
Dr. Markus Groth: Die Gebäude, die schnell mit Wasser gefüllt sind, lassen sich natürlich nicht versetzen, aber es gibt eine Vielzahl technischer Schutzmaßnahmen. Daher prüfen wir, was realistisch ist. Das kann einerseits die Intensivierung der Pflege der Bruchwetter und anderer möglicher Wasserabläufe sein, damit der Graben nicht zuwächst. Andererseits kann in neuen Baugebieten das zu erwartende Abflussverhalten bereits vor der Planung berücksichtigt werden.
Jens Böther: In einigen Bereichen müssen wir uns den Querschnitt der Rohre anschauen und prüfen, ob die vielleicht erneuert werden müssen. Die Erkenntnisse sind auch für zukünftige Planungen hilfreich. Vielleicht muss man bei der Planung von einem Neubaugebiet ein zusätzliches Regenrückhaltebecken einplanen. Das lässt sich hier in der Simulation gut erkennen. Wir müssen uns an anderer Stelle vielleicht Gedanken machen, das Regenwasser nicht gleich in die Bruchwetter, sondern erst auf eine Wiese umzuleiten. In solchen Fällen würden wir einen Wasserbau-Techniker engagieren, der uns ein Konzept machen kann, wie wir in Zukunft damit umgehen.
Herr Groth, welche weiteren Empfehlungen gibt der GERICS-Stadtbaukasten?
Dr. Markus Groth: Wir empfehlen, die Bevölkerung in den Gebieten besser über Starkregen zu informieren. Die Bürgerinnen und Bürger sollten darüber aufgeklärt werden, was zum Beispiel Grundstückseigentümer machen können, um gut auf Überflutungen durch Starkregenereignisse vorbereitet zu sein. Das kann durch Gespräche erreicht werden, aber auch Infomaterial sollte produziert werden.
Jens Böther: Im Baurecht ist festgelegt, dass Regenwasser auf dem Grundstück versickert. Oft sind die Gegebenheiten anders, das ist ganz normal. Mal versickert das Wasser einfach im Garten, auf anderen Grundstücken nimmt das Regenwasser zum Beispiel den Weg über die Hofeinfahrt. Hier kann man die Einwohner sensibilisieren, sodass sie sich um Drainage oder Abflussrinnen kümmern. Ein Aufruf könnte sein: Euer eigener Schutz vor Starkregen liegt nicht nur bei der Stadt, sondern auch bei euch auf dem Privatgrund.
Herzlichen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Heidrun Hillen (Hereon).
Erschienen in der in2science #5 (Dezember 2017)