Investitionen in die Zukunft – Interview mit dem Aufsichtsratsvorsitzenden Ministerialdirigent Dr.-Ing. Herbert Zeisel

"Dem Hereon kommt die wichtige Rolle zu, neben dem Monitoring dieser Lebensräume und ihrer Veränderungen Konzepte für deren zukünftige Nutzung und Gestaltung zu entwickeln."
Foto: Hereon/ Jan-Rasmus Lippels
Sehr geehrter Herr Zeisel: Das Motto unserer diesjährigen Jahrestagung lautete „Für den Menschen und seinen Lebensraum von morgen“. Welche Bedeutung hat dieser Leitspruch für Sie in Bezug auf das Hereon?
Das Motto bringt sehr klar die enge Verbindung zwischen uns und unserem Lebensraum zum Ausdruck und welche Wechselwirkungen und Abhängigkeiten in beide Richtungen bestehen, auch wenn man sich dieser nicht immer sofort bewusst ist. Häufi g wird es so dargestellt, als stünde das Wohlergehen des Einzelnen im Konfl ikt mit dem Schutz der Umwelt. Gerade die Küstenforschung als Forschungsschwerpunkt des Hereon steht aber exemplarisch für eine ganzheitliche Betrachtungsweise. Die Küstenregionen werden auf der ganzen Welt auch weiterhin der wichtigste Lebensraum der Menschen sein. Das zu erwartende Bevölkerungswachstum auf ca. 9 Mrd. Menschen bis zum Jahr 2050 wird diesen Trend noch verstärken. Dem Hereon kommt die wichtige Rolle zu, neben dem Monitoring dieser Lebensräume und ihrer Veränderungen auch Konzepte für deren zukünftige Nutzung und Gestaltung zu entwickeln. Die Stärke des Hereon liegt dabei sicher in der systemischen Betrachtung dieses Forschungsgegenstandes.
Mit unseren Neubauten wollen wir uns fit für die Zukunft aufstellen. Bei der Grundsteinlegung zum Coastal Competence Center im Mai 2016 sagten Sie, dass dieses Geld gut angelegt sei. Warum?
Um Spitzenforschung zu betreiben, insbesondere im Bereich der Naturwissenschaften, muss man exzellenten Wissenschaftlern an einem Standort auch das entsprechende Arbeitsumfeld und die nötige Infrastruktur zur Verfügung stellen, die es ermöglichen, auf Weltklasseniveau zu arbeiten und zu publizieren. Mit dem Coastal Competence Center (C3) ist es dem Bund und den Ländern gelungen, in Geesthacht die Weichen für eine exzellente Infrastruktur im Bereich der Küstenforschung zu stellen. Durch die Einrichtung moderner Labore und Büros samt Konferenzmöglichkeiten wird die Effektivität der Forschung im Hereon erhöht und damit auch die Sichtbarkeit des Zentrums als Ganzes. Das C3 trägt damit auch zur Profi lierung des Hereon bei und macht Geesthacht zu einem attraktiven Anlaufpunkt für Wissenschaftler aus aller Welt im Bereich der Meeres- und Küstenforschung.
Wo steht Hereon aus Ihrer Sicht national und international?
Das Hereon zählt bekanntermaßen nicht zu den größten Helmholtz-Zentren. Dennoch ist es national und international sehr anerkannt und wird entsprechend wahrgenommen. Das klare Profil des Hereon mit den beiden Forschungsschwerpunkten Materialforschung sowie Küstenforschung trägt sicher dazu bei. Aber auch die in der Wissenschaft üblichen Leistungsindikatoren für Forschungseinrichtungen wie Anzahl und Qualität der Veröffentlichungen, Anzahl der Doktoranden, Patente oder internationale Kooperationen – um nur einige wenige zu nennen – sprechen eine klare Sprache. Insbesondere auf dem stark umkämpften „Drittmittelmarkt“, sowohl in Deutschland als auch in Europa, ist das Hereon seit Jahren sehr erfolgreich. In vielen Bereichen kann es sich sicher auch mit deutlich größeren Forschungseinrichtungen messen. Dabei ist es dem Hereon immer gelungen, den Bogen von der exzellenten Grundlagenforschung bis zur Anwendung und zum konkreten gesellschaftlichen Nutzen – hier nenne ich als Beispiel das GERICS – zu schlagen. Aber auch der „Output“ in Sachen upscaling und Transfer von Technologien auf den industrierelevanten Maßstab stimmt, wo das Hereon mit Test- und Pilotanlagen für neue Membrantechnologien sehr erfolgreich ist und eng mit Industriepartnern zusammenarbeitet.

"Dem Hereon ist es immer gelungen, den Bogen
von der exzellenten Grundlagenforschung
bis zur Anwendung und zum konkreten
gesellschaftlichen Nutzen zu schlagen."
Foto: Hereon/ Jan-Rasmus Lippels
Wo sehen Sie das Helmholtz-Zentrum Hereon in zehn – und in 20 Jahren?
Es ist immer gefährlich, sich zu lange auf den Erfolgen der Vergangenheit auszuruhen und sich zu stark auf den Status Quo zu konzentrieren. Die Wissenschaft entwickelt sich permanent weiter. Das betrifft sowohl den Erkenntnisgewinn als auch die Art und Weise, wie Wissenschaft betrieben wird.
Auf Basis der Empfehlungen des Wissenschaftsrates findet derzeit ein Prozess zur Weiterentwicklung der HGF statt, der auch den Forschungsbereich Schlüsseltechnologien umfasst. Eine wichtige Rolle wird dabei der Trend zur Digitalisierung der Wissenschaft spielen und wie wir mit Informationstechnologien und Big Data in der HGF umgehen wollen. Dies berührt in seinem Kern natürlich auch die Zukunft der Materialforschung. Neben der individuellen Herausforderung für jeden Wissenschaftler und seine Fachdisziplin, ist es aber auch eine Herausforderung für den Forschungsstandort. Wie kann man möglichst frühzeitig aktuelle Trends aufnehmen oder mögliche weitere, wie z.B. die Biologisierung der Industrie, antizipieren und entsprechend strategisch darauf reagieren?
Die Entwicklung neuartiger Technologien, die Veränderung von Anforderungsprofilen für Nachwuchswissenschaftler oder veränderte gesellschaftliche Bedarfe müssen immer wieder zur Anpassung und Neuausrichtung der Forschungsstrategie führen, ohne dabei die Kernkompetenzen und das Profil des Hereon aufzugeben. Daher sind Prozesse wie der Foresight-Prozess, den das Hereon im Bereich der Materialforschung durchlaufen hat, wichtig. Ich bin überzeugt, dass das Hereon mit seinen Kompetenzen auch weiterhin eine wichtige Rolle in der Wissenschaftslandschaft in Deutschland und Europa spielen wird, auch wenn es in 10 oder 20 Jahren andere Fragestellungen und andere wissenschaftliche Methoden geben wird als heute.
In diesem Jahr lief die „Expedition Uhrwerk Ozean“. Neben den erstaunlichen wissenschaftlichen Erkenntnissen war die Expedition ein medienwirksamer Erfolg. Rund 154 Millionen Medienkontakte ergaben sich daraus. Wie wichtig ist Öffentlichkeit für Wissenschaft?
Die Öffentlichkeitsarbeit ist für die gesellschaftliche Wirkung von Wissenschaft heute sehr wichtig. Die Wissenschaft selbst hat eine Verpflichtung, ihre Forschungsergebnisse und auch deren Nutzen für die Gesellschaft an die Öffentlichkeit zu vermitteln. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn sie in großen Teilen durch die Öffentlichkeit finanziert wird. Diese Kommunikation sollte dabei keine Einbahnstraße sein: auch der kritische Diskurs zwischen der Wissenschaft und der breiten Öffentlichkeit ist wichtig. Schließlich sind ja auch Wissenschaftler ein Teil unserer Gesellschaft. Ich freue mich jedenfalls sehr, dass die Expedition Uhrwerk Ozean – nicht nur was die wissenschaftlichen Ergebnisse betrifft – ein großer Erfolg war, und dass es dank der hervorragenden Pressearbeit des Hereon gelungen ist, das Interesse für die Meeresforschung in der breiten Öffentlichkeit zu wecken.
Unsere Mitarbeiterzeitschrift „In2science“ ist ein Magazin, das die Menschen hinter der Wissenschaft vorstellen möchte. Gibt es etwas, dass Sie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Zentrums mit auf den Weg geben möchten?
Natürlich braucht gute Forschung – gerade bei den großen Schwerpunktthemen des Hereon – eine gute Infrastruktur, ohne die nötigen Labore und Instrumente geht es nicht. Aber entscheidend für den Erfolg einer Forschungseinrichtung sind am Ende die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, mit ihrem Wissen, ihrer Erfahrung und ihrer Begeisterung für die Themen, an denen sie arbeiten.
Ich kann daher nur sagen: Bleiben Sie neugierig, bleiben Sie kreativ und verfolgen Sie Ihre Ideen! Dann bin ich mir sicher, dass am Hereon auch in zukunft exzellente Forschung gemacht wird. In diesem Sinne bedanke ich mich bei allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Hereon herzlich für ihren Einsatz und ihr Engagement im Dienste der Wissenschaft.
Herzlichen Dank für die Beantwortung der Fragen.
Erscheinen in der in2science #3 (Januar 2017)