Neues Projekt mit Hereon-Beteiligung: Biomaterialien für Herzimplantat bei Kindern
Interview zum EU-Projekt TEH-TUBE mit Dr. Axel Neffe, Leiter der Abteilung Biomimetische Materialien
Mehr als ein Drittel aller angeborenen Herzdefekte bei Kindern erfordern die Rekonstruktion des rechten Ausflusstrakts des Herzens. Doch da das Implantat nicht mit dem Kind mitwächst, muss die risikoreiche Operation mehrfach wiederholt werden. Das könnte in ferner Zukunft anders sein:
Im EU-Projekt TEH-Tube soll ein Implantat entwickelt werden, das mit der Zeit abgebaut und gleichzeitig durch körpereigenes Gewebe ersetzt wird. Dessen Grundlage ist ein bioabbaubares Biomaterial. Noch ist das echte Zukunftsmusik, jedoch auch Motivation, diese Forschung teils über Jahrzehnte weiter zu betreiben.
Die Entwicklung von innovativen polymerbasierten Biomaterialien für medizinische Anwendungen stellt Wissenschaftler vor große Herausforderungen. So sind bis heute erst sehr wenige Polymersysteme in klinischen Anwendungen etabliert. Insbesondere trifft dies auf Materialien zu, die nur für einen bestimmten Zeitraum im Körper verbleiben sollen und daher im Körper abgebaut werden. Insgesamt kann so ein Vorhaben nur gelingen, wenn die gesamte Entwicklungskette von Design, Synthese, Testung bis zur Zulassung abgedeckt wird.
Die Herausforderung besteht darin, die Lücke zwischen der Grundlagenforschung und der klinischen Anwendung zu schließen. Daher wird in diesem Projekt in besonderem Maße
und bereits zu einem frühen Zeitpunkt auf die Fragen des zulassungsrelevanten Qualitätsmanagements geachtet.
TEH-Tube ist ein von der EU gefördertes Forschungsprojekt, das im Januar 2014 begonnen hat und zunächst auf vier Jahre ausgelegt ist. Beteiligt sind sieben europäische Organisationen und Forschungseinrichtungen, unter ihnen das Institut für Biomaterialforschung am Helmholtz-Zentrum Hereon in Teltow.

"Deswegen muss diese Operation regelmäßig wiederholt werden, solange das Herz wächst. Und genau darum geht es bei TEH-Tube: Ein neues Materialsystem zu entwickeln, um diese wiederholten Operationen zu vermeiden." Foto: Hereon/ E. Fesseler
Herr Dr. Neffe, was ist die besondere Expertise hier in Teltow? Warum sind Sie an diesem EU-Projekt beteiligt?
Einerseits ist unsere Erfahrung im Bereich der Polymersynthese und der Polymercharakterisierung sowohl von der physikochemischen Charakterisierung, als auch der biologischen Charakterisierung mit führend in Europa. Insbesondere haben wir aber bei uns im Haus die Möglichkeit, unter so genannten GMP-Bedingungen (Good-Manufactoring-Process) Forschung zu betreiben und erste Prototypen herzustellen. Das bedeutet, die Verfahren GMP-konform zu gestalten und zu dokumentieren. Das ist wichtig für die Vorbereitung der Zulassung und für die Durchführung von klinischen Tests. Es dient dazu, sicherzustellen, dass Forschungsergebnisse tatsächlich in die Klinik überführt werden können. In Deutschland und in Europa gibt es nur sehr wenige Forschungsinstitute, in denen so etwas durchgeführt werden kann, und wir sind eines dieser Institute.
Was ist das Ziel des TEH-Tube Projekts?
Das Ziel ist die kurative Behandlung von Kindern mit einem angeborenen Herzfehler, bei dem der rechte Ausgangstrakt des Herzens aufgrund einer Fehlgestaltung nicht richtig funktioniert und demzufolge sowohl Gefäße als auch Herzklappen nachgebildet werden müssen. Im Gegensatz zu erwachsenen Patienten ist das Problem bei Kindern, dass das Herz wächst und das Material nicht mitwächst. Deswegen muss diese Operation bei betroffenen Kindern regelmäßig wiederholt werden, solange das Herz wächst. Und genau darum geht es bei TEH-Tube: Ein neues Materialsystem zu entwickeln, um diese wiederholten Operationen zu vermeiden.
Wie wollen Sie erreichen, dass man nicht alle zwei Jahre operieren muss?
Wir setzen darauf, dass wir ein bioabbaubares Biomaterial einsetzen, das nur für eine gewisse Zeit die Funktion im Körper erfüllt und dann langsam durch körpereigenes Material ersetzt wird. Es soll also in dem selben Zeitraum resorbiert werden, wie neue Zellen an der richtigen Stelle wachsen. Dadurch hat man nachher ein voll funktionsfähiges Gewebe im Körper.
Was ist das für ein Material?
Es handelt sich um bioabbaubare Polymere aus der Klasse der Polyester. Das besondere an diesem Projekt ist, dass entweder die Ansiedlung von Zellen auf dem Material im Körper speziell gefördert werden soll oder, dass wir das Material schon außerhalb des Körpers mit Zellen besiedeln.
Was für Zellen sind das, die am Polymer angesiedelt werden sollen?
Das werden mesenchymale Stammzellen, also so genannte adulte Stammzellen sein.
Das Stützskelett des Implantats löst sich dann im Körper langsam auf?
Richtig. Das wird über einen der Regeneration angepassten Zeitraum passieren. Wenn das Material zu schnell abbaut, dann würde es nicht lang genug seine Funktion ausüben. Wenn es langsamer wäre, dann würde das Material selbst das Wachstum des körpereigenen Gewebes verhindern.
Wo liegen die größten Herausforderungen in diesem Projekt?
TEH-Tube ist ein großes interdisziplinäres Projekt. Das heißt, dass die verschiedenen chemischen, physikalischen und biologischen Experimente zusammenkommen und überall die richtigen Ergebnisse bringen müssen. Eine große Herausforderung ist, dass schon in der Vorbereitung erkannt werden muss, welche Schlüsselparameter unabdingbar für den Erfolg des Implantats sind. Das heißt, welche Materialeigenschaften müssen erfüllt werden? Wie muss das Design aussehen? Wie muss es prozessiert werden, um das Projekt tatsächlich erfolgreich umsetzen zu können? Die speziellen Herausforderungen für unser Institut in Teltow sind die Oberflächenfunktionalisierung der Polymere und die Frage, wie die Polymersynthese auf die Vorgaben eingestellt werden kann.
Was sind die speziellen Aufgaben des Instituts für Biomaterialforschung?
Die Aufgabe des Instituts für Biomaterialforschung ist zum einen die Oberflächenfunktionalisierung von kommerziell verfügbaren Polymeren. Die zweite Aufgabe ist die Herstellung neuer Polymere, weil es sein kann, dass nicht alle kommerziell verfügbaren Polymere für diese Anwendung perfekt geeignet sind. Diese Aufgaben werden dabei unter Berücksichtigung der Anforderungen des Qualitätsmanagements bearbeitet.
Oberflächenfunktionalisierung von klinisch etablierten Polymeren – was bedeutet das?
Wir verändern nicht die Grundbeschaffenheit der Polymere, sondern ausschließlich ihre Oberfläche. Zum Beispiel kann es sein, dass ein Material selbst zwar geeignete Abbauzeiten und geeignete mechanische Eigenschaften besitzt, aber Zellen des Körpers sich nicht gut an dieses Material binden. Das heißt, wir wollen erreichen, dass Zellen an der Oberfläche besser haften können. Eine Möglichkeit das zu erreichen ist, Peptide, die an Zellen binden, auf diese Polymere aufzubringen.
Was sind die Aufgaben der Partner?
Insgesamt sind sieben Partner an diesem Projekt beteiligt. Ein Partner ist hauptsächlich auf der administrativen Seite tätig, des Weiteren gibt es drei industrielle und drei akademische Partner. Die beiden anderen akademischen Partner sind das APHP Assistance Publique des Hopitaux de Paris und das University College in London. Die Gruppe um Prof. Dr. David Kalfa in Paris beschäftigt sich im Projekt mit den entsprechenden Tiermodellen, um das Ganze zu untersuchen. Sie beschäftigt sich zudem mit der Herstellung der für das Projekt benötigten Stammzellen. Der Partner am University College in London erforscht die Verarbeitung der Polymere, damit diese in die richtige Form gebracht werden. Die Aufgaben der Partner umfassen insgesamt die biologische und mechanische Testung sowie die Vorbereitung der klinischen Translation und der Zulassung.
Wie ordnet sich das Projekt TEH-TUBE in die Gesamtforschungsaktivitäten des Institutes ein?
Die Idee, dass Biomaterialien durch körpereigenes Material ersetzt werden, um eine vollständige Regeneration zu erreichen, ist eines der Ziele, an denen wir insgesamt im Institut arbeiten. Dieses spezifische EU-Projekt passt genau in diese strategische Ausrichtung des Instituts.
Vielen Dank für das Interview!
Autor: Erich Wittenberg
Erschienen in der in2science #1 (Dezember 2014)