Robotik neu gedacht
Interview mit Babara Mazzolai, Leiterin des Zentrums für Mikro-Biorobotik in Pisa
Weiche Roboter haben keine Arme und Gelenke aus Metall, sondern bestehen aus dehnbaren, flexiblen Kunststoffen. Dadurch sollen sie sich besser der Umwelt anpassen und gefahrlos mit Menschen zusammenarbeiten können. Mit den neuen weichen Materialien, sogenannten Aktuatormaterialien, des Hereon-Instituts für Biomaterialforschung in Teltow scheinen neue Dimensionen der Soft Robotics realisierbar zu werden. Dazu hat das Institut eine Forschungskooperation mit der italienischen Wissenschaftlerin Barbara Mazzolai gestartet. Sie zählt zu den führenden Expertinnen auf diesem Gebiet.

"Um Roboter zu bauen, die in komplexen Umgebungen zurechtkommen und sich an neue Umweltbedingungen anpassen können, orientieren wir uns an Vorbildern aus der Natur. Das bedeutet: Wir wollen Biologie und innovative Technologien miteinander verknüpfen." Zukünftig werden gemeinsam mit dem IIT und dem Institut für Biomaterialforschung neue Komponenten für Soft Robotics erforscht. Foto: IIT
Frau Mazzolai, Sie und ihr Team beschäftigen sich mit einem Feld namens Soft Robotics. Was kann man sich darunter vorstellen, was ist der Unterschied zu normalen Robotern?
Konventionelle Roboter besitzen feste Körper und Gliedmaßen und bestehen überwiegend aus harten Werkstoffen, zum Beispiel aus Metallen. In der Regel sind sie dafür gemacht, in einer strukturierten, fest vorgegebenen Umgebung zu agieren, etwa in einer Werkhalle in der Industrie. Allerdings ist die Zusammenarbeit mit dem Menschen aus Sicherheitsgründen limitiert. Denn die harten, sich schnell bewegenden Roboterarme können durchaus zu Verletzungen führen. Dagegen bestehen weiche Roboter aus nachgiebigen, biegsamen Kunststoffen wie beispielsweise Silikon – aus Werkstoffen also, die natürlichen organischen Materialien nachempfunden sind. Solche Roboter könnten flexibler auf ihre Umwelt reagieren und mit ihren weichen Gliedmaßen gefahrlos mit dem Menschen zusammenarbeiten. Sie richten keinerlei Schäden an und könnten sogar für medizinische Zwecke im Inneren des menschlichen Körpers agieren. Als weitere Anwendungen sind Such- und Rettungsroboter denkbar sowie kleine bewegliche Maschinen für das Umweltmonitoring.
Worin bestehen die Herausforderungen bei der Entwicklung der weichen Roboter, welche Schwierigkeiten sind zu meistern?
Das Forschungsfeld steht noch ziemlich am Anfang, wir haben noch grundlegende Probleme zu lösen. Eine wesentliche Herausforderung ist die Steuerung. Wir müssen ganz neue Mechanismen entwickeln, damit sich die Roboter gezielt bewegen können. Wie können wir verschiedene Materialien zu einem System kombinieren und gezielt und zuverlässig kontrollieren? Und wie lässt sich dieses System mit den passenden Sensoren verbinden? Dafür brauchen wir neue Materialien, die verschiedene Funktionen erfüllen und zugleich als Sensoren und Aktuatoren fungieren können. Um Roboter zu bauen, die in komplexen Umgebungen zurechtkommen und sich an neue Umweltbedingungen anpassen können, orientieren wir uns an Vorbildern aus der Natur. Das bedeutet: Wir wollen Biologie und innovative Technologien miteinander verknüpfen. Erste Erfolge können wir schon vorweisen: 2012 haben wir einen Roboter präsentiert, dessen flexible Arme nach dem Vorbild des Tintenfisches konstruiert sind. Zwar stecken wir noch mitten in der wegweisenden Phase. Dennoch ist die Industrie bereits auf das Thema aufmerksam geworden und beginnt damit, Forschungsgelder zu vergeben.
Vor Kurzem sind Sie eine Kooperation mit dem Helmholtz-Zentrum Hereon eingegangen, mit der Gruppe von Andreas Lendlein vom Institut für Biomaterialforschung in Teltow bei Berlin. Was ist das Ziel dieser Zusammenarbeit?

Die Wissenschaftler am IIT haben einen Plantoiden entwickelt, also einen Roboter, der wie eine Pflanze wirkt und wächst. Er dient der Untersuchung biologischer und technologischer Fragen.
Foto: Duilio Farina/ llT
Beide Partner verfügen über verschiedene, sich ergänzende Kompetenzen. Wir in Pisa besitzen das Knowhow, wie man einen Prototyp eines weichen Roboters baut. Dagegen hat das Institut für Biomaterialforschung die Expertise, die dafür nötigen adaptiven Materialien zu entwickeln. Um auf dem Feld möglichst effektiv weiterzukommen, müssen wir Ingenieure möglichst eng mit der Materialforschung zusammenarbeiten – wir brauchen den Kontakt zu Experten aus anderen Fachrichtungen mit anderen Visionen. Wir Ingenieure können solche Roboter nicht ganz alleine konstruieren. Wir brauchen das Wissen von anderen Disziplinen, etwa von Biologen, Materialforschern und Chemikern. Diese interdisziplinäre Zusammenarbeit ist etwas Neues für uns Robotikexperten. Ich finde das sehr spannend, denn es gibt in unserem Feld nur sehr wenige Beispiele für solche Kooperationen.
Warum haben Sie sich zu einer Zusammenarbeit mit dem Helmholtz-Zentrum Hereon entschlossen? Was konkret versprechen Sie sich von dieser neuen Kooperation?
Die Herausforderung besteht ja darin, den neuen Robotern gezielte und gerichtete Bewegungen beizubringen. Bislang versuchte man es beispielsweise mit Silikonbauteilen, in die Drähte als künstliche Sehnen eingelassen sind oder mit feinen, per Luftdruck bewegten Röhren. Die Formgedächtnis-Polymeraktuatoren aus Teltow versprechen hier einen deutlichen Fortschritt. Bei ihnen kann das Material selbst als ein Aktuator fungieren, der sich zielgenau bewegt – und zwar als Reaktion auf äußere Bedingungen, zum Beispiel auf Temperaturänderungen. Das Verhalten des Polymers wird beim Design programmiert, sodass die Materialien wissen, wie sie sich bei steigenden Temperaturen oder steigender Luftfeuchtigkeit bewegen müssen. Ganz ähnlich funktioniert das übrigens auch bei Pflanzen, die auf bestimmte Umweltreize mit Bewegung reagieren, ein Beispiel ist die Venusfliegenfalle. Gelingt es uns, gemeinsam mit Teltow neue Komponenten basierend auf ihren Polymeraktuatoren zu erzeugen und in unsere Prototypen zu integrieren, könnten wir die Komplexität der Systeme deutlich reduzieren.
Um welche Projekte wird es bei der Zusammenarbeit als erstes gehen, welche Meilensteine streben Sie an?
Gemeinsam mit dem Helmholtz-Zentrum Hereon wollen wir neue, adaptive Materialien für die Robotik einführen und daraus erste Prototypen bauen. Wir denken dabei an einen Roboter mit Eigenschaften von Pflanzen, oder auch an einen Prototyp, der ähnlich wie ein Frosch hüpfen und schwimmen kann. Als ferne Vision sind Roboter vorstellbar, die ihre Aktuatoren selbst umprogrammieren können – eine Art Transformer, die selbstständig ihre Form verändern. Möglich scheinen auch Prototypen mit Selbstheilungseigenschaften sowie Roboter, die Energie sammeln und speichern können und damit weitgehend autark wären. Um die Grundlagen für solche Systeme zu schaffen, haben wir gemeinsam mit dem Teltower Institut unter anderem ein Helmholtz International Lab beantragt, in dem wir gemeinsam solche neuartigen Komponenten für Soft Robotics erschaffen wollen. Wir sind also startbereit.
Worin könnten die wichtigsten Anwendungen liegen?

Hier sind die „Wurzeln“ des Plantoids zu sehen. Jedes Wurzelende ist mit chemischen Sensoren
ausgestattet, beweglich und reagiert empfindlich gegenüber Berührungen.
Foto: IIT
Denkbar sind Roboter, die sich geschickt und flexibel durch unbekanntes Terrain bewegen und unwegsame Gebiete erkunden. Dort könnten sie mit ihren Sensoren nach Gift- und Schadstoffen suchen und dadurch eine wichtige Rolle im Umweltmonitoring übernehmen. Oder sie könnten in Katastrophengebieten, etwa bei Erdbeben oder Überschwemmungen, nach Überlebenden fahnden. Auch in der Medizin gibt es vielversprechende Perspektiven: Wir denken da an neuartige Endoskope für Darmspiegelungen. Die heutigen Koloskope können Schmerzen verursachen, wenn sie während der Untersuchung mit ihren relativ harten Spitzen gegen die Darmwand stoßen. Mithilfe der Soft Robotics wären weiche, biegsame Spitzen möglich. Damit könnte die Untersuchung deutlich schonender und behutsamer sein.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte der Wissenschaftsjournalist und Physiker Frank Grotelüschen.
Erschienen in der in2science #6 (Juni 2018)