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Den Klimawandel prognostizieren – nicht produzieren

Interview mit Prof. Thomas Ludwig – Deutsches Klimarechenzentrum

Thomas Ludwig ist Herr der FLOPS und Bytes: Der Informatiker leitet in Hamburg das Deutsche Klimarechenzentrum (DKRZ), Deutschlands zentrale Anlaufstelle für Forscher, die verstehen wollen, wie sich unser Klima langfristig verändert. Seine Supercomputer können gewaltige Datenmengen berechnen und speichern – und liefern auch den Wissenschaftlern am Hereon detaillierte Simulationsergebnisse.

DKRZ

"Wir können inzwischen viele Komponenten
parallel berechnen. Die Experten des Hereon
schauen auch auf die Luftströme, um
Aussagen über die künftige Entwicklung
von Wind und Wellen treffen zu können."
Foto: Hereon/ Christian Schmid

Herr Ludwig, Deutschland gehört in der Klimaforschung zu den weltweit führenden Nationen. Verdankt die Wissenschaft diesen Rang auch Ihrem Klimarechenzentrum, dem DKRZ?

In gewisser Weise ja – auch wenn wir nur die Infrastruktur für diesen Erfolg stellen. Aber in diesem Forschungszweig lassen sich nun einmal viele Fragen nicht klären ohne die immensen Rechenkapazitäten von Hochleistungszentren wie dem unseren.

Warum?

Weil die Forscher sehr komplexe globale Entwicklungen berücksichtigen müssen, zum Beispiel in so unterschiedlichen Regionen wie der Arktis und der Sahara. Und das über einen Zeitraum von mindestens 30 Jahren – erst dann spricht man im wissenschaftlichen Sinne von Klima. Viele Wissenschaftler wählen aber auch deutlich längere Perioden oder blicken zurück auf die letzten Eiszeiten. Stimmen die Rechenergebnisse mit anderen Daten wie zum Beispiel denen von Eisbohrkernen überein, ist das ein deutlicher Hinweis auf ihre Belastbarkeit.

Als es dem Rechenzentrum vor 25 Jahren gelang, in einem Klimamodell parallel zwei Entwicklungen zu berechnen – die des Ozeans und die der Atmosphäre – galt dies als entscheidender Schritt für den Erfolg des DKRZ. Wie viele Faktoren können heutige Modelle Ihres Hauses integrieren?

Ein Vielfaches der damaligen zwei Komponenten! Je nach Projekt berücksichtigen die Forscher heute zum Beispiel auch das Wachstum von Algen in einer Meeresregion oder die landwirtschaftliche Nutzung eines Gebietes. Die Experten des Helmholtz-Zentrums Hereon schauen auch auf die Luftströme, um Aussagen über die künftige Entwicklung von Wind und Wellen treff en zu können. Gleichzeitig können wir heute auch die Dynamik des Klimawandels viel besser berücksichtigen: kaum ein Wert, mit dem wir arbeiten, bleibt ja über die Jahre konstant. Teilweise verstärken sich Entwicklungen sogar gegenseitig: Schrumpft in einer Region durch den Temperaturanstieg zum Beispiel der Waldbestand, gibt es weniger Bäume, die Sauerstoff produzieren oder CO2 aufnehmen können. So kann sich der Klimawandel sogar noch verstärken. Diese Kreisläufe können wir mittlerweile in unseren Modellen nachbilden.

Thomas Ludwig

"Wir erreichen im weltweiten Vergleich Platz 34
der 500 leistungsstärksten Hochleistungsrechner."
Foto: Hereon/ Christian Schmid

Dazu benötigen Sie eine gewaltige Rechenleistung – wie hat sich die Kapazität des DKRZ seit seiner Gründung vor 30 Jahren entwickelt?

Weltweit hat sich die Rechenleistung alle zwölfeinhalb Jahre um den Faktor 1.000 erhöht – und das DKRZ liegt hier im Trend. Seit unserer Gründung im Jahr 1987 hat sich die Kapazität damit insgesamt um etwa fünfzehn Millionen gesteigert. Heute stehen bei uns im dritten Stock des Zentrums Computer mit insgesamt 100.000 Prozessorkernen – mehr als drei Billiarden Rechenoperationen können diese Rechner pro Sekunde stemmen! Damit erreichen wir im weltweiten Vergleich Platz 34 der 500 leistungsstärksten Hochleistungsrechner. Untergebracht sind diese Komponenten in 79 Schränken, jeder so groß wie eine Telefonzelle und eine Tonne schwer. Auch für die Statiker unseres Gebäudes war die Installation der Geräte deshalb eine Herausforderung. Dazu kommt noch unser Datenarchiv, das zu den größten der Welt gehört. Es speichert so viele Daten wie etwa 135.000 Notebooks, online abrufbar für Wissenschaftler überall auf der Welt. Wie rasant sich die Rechenkapazitäten unseres Hauses entwickelt haben, sieht man auch im Rückblick: Schon unser erster Supercomputer zählte zu den größten Rechnern der Welt. Er nutzte damals aber nur einen einzelnen Prozessor, der die Leistung eines heute üblichen Smartphones hatte.

Thomas Ludwig

"Unser derzeitiger Computer verbraucht
sogar weniger Strom als sein Vorgängermodell –
obwohl er zwanzig Mal so viel leistet."
Foto: Hereon/ Christian Schmid

Erwarten Sie eine ähnliche Entwicklung auch für die Zukunft?

Zumindest für die kommenden Jahrzehnte. Schon unser nächster Computer, der 2020 in Betrieb geht, wird die Rechenleistung voraussichtlich wieder verzehnfachen. Finanziert wird er erneut von der Helmholtz-Gemeinschaft, dazu kommen dieses Mal die Max-Planck-Gesellschaft und die Stadt Hamburg.

Sie legen sehr viel Wert auf die Energieeffizienz Ihrer Rechner. Da Sie aber gleichzeitig die Rechenkapazität stetig steigern, stehen Sie zwangsläufig vor einem Dilemma: Immer mehr Leistung braucht immer mehr Strom, oder?

Überraschenderweise nicht. Unser derzeitiger Computer verbraucht sogar weniger Strom als sein Vorgängermodell – obwohl er zwanzig Mal so viel leistet. Das gelingt durch ein spezielles Kühlsystem, das es uns erlaubt, auf Ventilatoren in den Rechnerknoten zu verzichten. Stattdessen kühlen Wasserleitungen die Prozessoren. Das Wasser heizt sich dabei auf bis zu 50 Grad auf und wird dann auf das Dach unseres Gebäudes geführt, wo es wieder abkühlt und danach zurück in den Kreislauf fließt. Das besondere daran ist die hohe Hitzetoleranz dieses Systems: Es funktioniert sogar mit 40 Grad warmem Wasser, weshalb wir die Flüssigkeit nicht so stark herunterkühlen müssen wie in anderen Rechnermodellen. Dies gelingt uns ohne Kühlaggregate auch im Sommer, wobei uns aber natürlich auch das vergleichsweise frische Wetter hier in Hamburg in die Karten spielt. Insgesamt können wir so Stromkosten von 300.000 Euro im Jahr sparen. Außerdem nutzen wir ausschließlich Ökostrom – schließlich wollen wir den Klimawandel prognostizieren, nicht produzieren. Ob uns allerdings mit dem nächsten Rechner eine ähnlich gute Energiebilanz gelingt, müssen wir noch abwarten: Die Technik der Computer ändert sich so schnell, dass ich heute noch nicht sagen kann, welches Modell im Jahr 2020 bei uns in Betrieb geht.

DKRZ

Foto: Hereon/ Christian Schmid

Wie sind Sie als Informatiker überhaupt zur Klimaforschung gekommen?

Mich hat das wissenschaftliche Rechnen schon immer fasziniert: diese komplexen Modelle, die man im Dienste der Wissenschaft entwickelt. Das sind zwar rein mathematische Konstrukte, aber ja keine wissenschaftlichen Spielereien, sondern diese Simulationen dienen meist Forschungszweigen, die von elementarer Bedeutung für alle Menschen sind. In der Medizin zum Beispiel, wo ich meine Karriere gestartet habe, berechnen wir damit den Verlauf von Erkrankungen wie Krebs. Unser derzeitiger Computer verbraucht sogar weniger Strom als sein Vorgängermodell – obwohl er zwanzig Mal so viel leistet. Und auch in der Klimaforschung haben die Rechenprogramme besondere Relevanz: Zum einen prognostizieren sie Entwicklungen, die viele Menschen betreff en werden, etwa weil der Klimawandel Landstriche unbewohnbar macht oder Böden keine Ernte mehr einbringen könnten. Zum anderen aber auch, weil die Wissenschaftler dieser Disziplin stark unter Beschuss stehen. Deshalb muss die IT hier besonders zuverlässige Daten liefern. Da fühle ich mich herausgefordert! Üblich sind deshalb zum Beispiel so genannte Ensemblerechnungen: Dabei wird derselbe Prozess 20 Mal immer wieder mit leicht veränderten Ausgangswerten berechnet. Nur um sicher zu gehen, dass man keine tendenziösen Werte nutzt. Erst wenn unsere Modelle auch dabei eindeutige Ergebnisse liefern, gelten sie als valide. Deshalb kann ich mit voller Überzeugung sagen: Die Klimaforschung arbeitet mit extrem zuverlässigen Daten. Ich habe noch keine Wissenschaft gesehen, die derartigen Aufwand in die Qualitätssicherung steckt.

Lassen sich an den Forschungsanträgen, die bei Ihnen eingehen, die Trends der Klimaforschung ablesen?

Sicherlich, vor allem aber zeigt sich, wie stark sich die Themen mittlerweile diversifizieren: Die Bandbreite der vielen hundert Projekte hier am Haus ist enorm. Da ist auf der einen Seite der Blick über gewaltige Zeitspannen oder riesige Gebiete und dann auf der anderen Seite die Darstellung von so fragilen Gebilden wie Wolken, deren Bewegungen wir nur über einen Zeitraum von wenigen Minuten abbilden. Wir werden aber nicht nur zeitlich flexibler, sondern auch räumlich: Früher reichten unsere Rechenkapazitäten nur für Gitter aus mit einer Kantenlänge von 500 Kilometern. Für ganz Deutschland konnten wir damals also nur drei Messpunkte berücksichtigen. Da ist die Forschung längst weiter: Wissenschaftler des Helmholtz-Zentrums Hereon zum Beispiel beobachten einzelne Regionen in Europa und Deutschland detailliert und bilden die dortigen Oberflächen auf zehn Kilometer genau nach – das ist wichtig, denn der Klimawandel kann sich auch innerhalb eines Landes sehr unterschiedlich auswirken, an den Küsten zum Beispiel mehr Stürme und Überschwemmungen mit sich bringen, während im Binnenland die Böden austrocknen.

Als Direktor des Deutschen Klimarechenzentrums sind sie regelmäßig konfrontiert mit teils sehr bedrückenden Forschungsergebnissen. Frustriert sie das nicht manchmal?

Natürlich lassen mich die Ergebnisse nicht kalt, dazu sind sie oft zu alarmierend. Aber ich suche eher eine professionelle Distanz zu ihnen. Manchmal können die Katastrophenszenarien sogar beeindruckend schön sein: Vor Kurzem habe ich die Simulation eines Tornados gesehen – die hätte aus einem Hollywood-Blockbuster stammen können. Und dann denke ich mir: Wir müssen hier sauber arbeiten – und Beweise dafür sammeln, was auf uns zukommt, wenn wir nichts unternehmen.


Das Interview mit Prof. Dr. Thomas Ludwig führte die Wissenschaftsjournalistin Jenny Niederstadt im DKRZ.
Erschienen in der in2science #4 (Juni 2017)