Zwei Botschafter für den Wasserstoff
Wasserstoff gilt als eine Schlüsseltechnologie für die Energiewende. Er kann regenerativen Strom speichern, Autos, Schiffe und Flugzeuge emissionsfrei antreiben und eine CO2-neutrale Stahlproduktion ermöglichen. Doch wie lässt sich eine Wasserstoffwirtschaft flächendeckend etablieren? Darüber diskutieren zwei, denen die neue Technologie besonders am Herzen liegt: Der Hamburger Wirtschaftssenator Michael Westhagemann verfolgt die Vision, den Hafen der Hansestadt mithilfe von Wasserstoff klimafreundlicher zu machen. Und Hereon-Institutsleiter Professor Thomas Klassen entwickelt Technologien, mit denen sich der grüne Energieträger effizienter als bislang erzeugen und speichern lässt.

Wasserstoff zwischen Strategie und angewandter Forschung. Institutsleiter Thomas Klassen (links) lud den Hamburger Wirtschaftssenator Michael Westhagemann (rechts) zum Gespräch nach Geesthacht ein. Foto: Hereon/ Christian Schmid
Es gibt viele erfolgreiche Pilotprojekte zur Erzeugung, Speicherung und Nutzung von Wasserstoff. Was ist nötig, um der Technologie zum Durchbruch zu verhelfen?
Westhagemann: Wir müssen jetzt zeigen, dass die Wasserstoffwirtschaft wirtschaftlich sein kann. Dafür braucht es große Anlagen im Industriemaßstab, zum Beispiel für eine CO2-neutrale Wasserstoffproduktion. Um das umzusetzen, wollen wir im Hamburger Hafen einen Elektrolyseur bauen, der Wasser mithilfe von regenerativ erzeugtem Strom spaltet und dadurch grünen Wasserstoff produziert. Mit einer Leistung von 100 Megawatt wird dieser Elektrolyseur deutlich größer sein als alle bisherigen Projekte – ein regelrechtes Leuchtturmprojekt. 2023 könnte diese Anlage bereits fertig sein. Die ersten Abnehmer könnten ein Stahlwerk sein und ein Öl-Konzern, der synthetisches Kerosin herstellen will. Später ließen sich dann die vielen Lkw, die täglich im Hafen unterwegs sind, mit Wasserstoff antreiben und sogar kleinere Schiffe.
Klassen: Technologisch sind wir in Deutschland weit vorne. Woran es zum Teil noch fehlt, ist das Zusammenspiel der einzelnen Komponenten, das Zusammenwirken von Erzeugung, Speicherung und Verbrauch in großen, industriellen Systemen und Anwendungen. Hier ist die Politik gefragt, und Michael Westhagemann zählt zu den Protagonisten, die das Thema wirklich voranbringen. Seine Initiative, einen 100-Megawatt-Elektrolyseur im Hamburger Hafen zu bauen, ist ein Projekt, das die Potenziale von Wasserstoff eindrucksvoll demonstrieren kann.

Klassen und Westhagemann im Gespräch. Foto: Hereon/ Christian Schmid
Es gibt ja sicher noch Forschungsfragen. Welche sind das? Und wie kann das Helmholtz-Zentrum Hereon helfen, sie zu lösen?
Klassen: Wir arbeiten an der Speicherung in Metallhydriden, das sind Metalle, die Wasserstoff aufsaugen können wie ein Schwamm. Das Verblüffende: In einen Metallhydrid-Tank passt doppelt so viel Wasserstoff wie in einen gleichgroßen Druck- oder Flüssiggas-Tank für Wasserstoff. Um unsere Forschung in die Praxis umzusetzen, arbeiten wir mit der Automobilindustrie in Deutschland zusammen und sind da auf einem guten Weg. Außerdem entwickeln wir sogenannte fotoelektrochemische Zellen. Sie können Wasser direkt mit Sonnenlicht spalten und haben das Potenzial, Wasserstoff hocheffizient zu erzeugen. Kleine Prototyp-Zellen haben wir schon gebaut und ich könnte mir vorstellen, dass wir in fünf bis zehn Jahren marktreife Produkte haben. Und schließlich arbeiten unsere Polymerforscher an Membranen, die Wasserstoff aus einem Gasgemisch herausfiltern. So ist vorstellbar, mit überschüssigem Windstrom Wasserstoff herzustellen und in das Hamburgische Gasnetz einzuspeisen. Wird der Wasserstoff irgendwo benötigt, ließe er sich mit diesen Membranen vom Erdgas trennen. Damit könnte Wasserstoff einfach im Gasnetz transportiert werden, ein eigenes Netz aus Wasserstoff-Pipelines wäre nicht nötig.
Herr Westhagemann, Sie haben die norddeutsche Wasserstoffstrategie mitinitiiert. Und im Juni hat die Bundesregierung die Nationale Wasserstoffstrategie vorgestellt, ein Multi-Milliarden-Programm. Auch die EU möchte mit ihrem „Green Deal“ die Technologie fördern. Was darf man sich von diesen Initiativen erhoffen?
Westhagemann: Das ist natürlich ein Turbo, der die Entwicklung stark beschleunigen dürfte. Nun stehen Fördergelder zur Verfügung, mit denen man größere Projekte realisieren kann, und zwar in den verschiedensten Bereichen. Etwa in der durch die Coronapandemie stark gebeutelten Luftfahrt: Hier wird es für die Airlines in Zukunft immer wichtiger, klimaverträgliche Flüge gerade für die Kurzstrecke anzubieten. Airbus hat bereits darauf reagiert und entwickelt einen wasserstoffbetriebenen Passagierjet, der 2030 marktreif sein soll. Ein anderer Bereich ist der Schwerlastverkehr: Einen Lkw oder einen Bus mit Batterien anzutreiben, ist wenig sinnvoll, denn Batterien sind schwer und brauchen lange zum Aufladen. Das haben die Hersteller in Asien längst begriffen und setzen auf Wasserstoff und Brennstoffzelle. Ein weiteres Beispiel ist die Schifffahrt: Hier finde ich den Hereon-Plan hochinteressant, ihr neues Forschungsschiff mit einem Wasserstoff-Antrieb auszustatten.

Im Hereon-Labor erklärt Wasserstoffforscher Dr. Julian Jepsen (Mitte), wie das Rohmaterial für die im Helmholtz-Zentrum Hereon entwickelten Speicher auf Metallhydrid-Basis hergestellt wird. Die Leichtmetalle werden zu immer feinerem Pulver zermahlen, sodass sich ihre Oberfläche vergrößert und mehr Wasserstoff aufgenommen werden kann. Foto: Hereon/ Christian Schmid
Welche Gemeinschaftsprojekte des Hereon und Hamburg gibt es bereits, welche sind geplant?
Klassen: In einem größeren Konsortium wollen wir helfen, den Hamburger Hafen auf grünen Wasserstoff umzustellen. Dazu gehört die gesamte Logistik, aber auch das Thema Schiffsantriebe. Hier kooperieren wir mit diversen Hamburger Unternehmen und Universitäten, aber auch mit dem neuen DLR-Institut für Maritime Energiesysteme, das derzeit in Geesthacht entsteht und unter anderem klimafreundliche Antriebe für Schiffe entwickeln wird. In einem weiteren Projekt kooperieren wir mit Stromnetz Hamburg, Gasnetz Hamburg sowie der Helmut-Schmidt-Universität zur Kopplung von Strom- und Gasnetz. Außerdem arbeiten wir mit Airbus und der TU Hamburg zusammen an einem Konzept zur Entwicklung der Energie-Infrastruktur: Es nützt ja nichts, wenn ein Flugzeug mit Wasserstoff fliegt, aber nirgendwo tanken kann. Dazu gibt es zwei Optionen. Es wäre möglich, dass ein Flugzeug – wie von Airbus geplant – direkt mit Wasserstoff fliegt und alle Flughäfen zukünftig Wasserstoff bereitstellen. Der Wasserstoff lässt sich aber auch dazu nutzen, synthetisches Kerosin herzustellen, mit dem die heutigen Maschinen fliegen könnten. Beide Wege führen letztlich zum Ziel. Hier muss sich noch zeigen, was der wirtschaftlichere und klimaverträglichere Weg für kurze oder lange Flugstrecken ist.
Westhagemann: Vor allem diese Netzwerke sind sehr wichtig, um die Wasserstoffwirtschaft weiterzuentwickeln und neue Themenfelder zu identifizieren. Allerdings ist es alles andere als einfach, solche Netzwerke aufzubauen und zu gestalten, die Partner müssen sich ja erst einmal finden. Das ist hier sehr gut gelungen, und ich bin dem Helmholtz-Zentrum Hereon dankbar, dass wir diese Themen gemeinsam in einem Netzwerk entwickeln können.
Für eine umfassende Wasserstoffwirtschaft bräuchte es große Mengen an grünem Strom. Wo könnte der herkommen?
Westhagemann: Vermutlich werden wir nicht alles selber produzieren, sondern müssen dorthin schauen, wo sich Wasserstoff mit regenerativen Energien günstig herstellen lässt, zum Beispiel mit Solarenergie. Das sind sonnenreiche Länder wie Portugal, Spanien und Italien sowie die arabische Welt. Denn Staaten wie Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate wollen perspektivisch aus dem Erdöl aussteigen und haben eine neue Chance erkannt – als Exporteure für grünen Wasserstoff.
Die Wasserstoffwirtschaft benötigt eine eigene Infrastruktur aus Tankstellen und Speichern. Wie soll sie flächendeckend aufgebaut werden?
Westhagemann: Derzeit besitzt Deutschland ein Netz aus rund 100 Tankstellen, bis Ende 2022 sollen es 200 sein. Die Frage lautet: Wie sieht es jenseits der Grenzen aus? Es wäre natürlich ungünstig, wenn ein Lkw, der nach Skandinavien unterwegs ist, in Dänemark keinen Wasserstoff nachtanken kann. Deshalb sind wir mit unseren Nachbarstaaten in Dialog getreten und wollen einen nordeuropäischen Kongress aufsetzen, um uns künftig besser zu synchronisieren und über die Landesgrenzen hinweg eine Infrastruktur zur Verfügung zu stellen.

Zum Fuhrpark des Helmholtz-Zentrums Hereon zählt ein Wasserstofffahrzeug. Dieses tankt Wasserstoff, der in einer Brennstoffzelle in Strom umgewandelt wird. Der Strom treibt den Elektromotor an, als Abgas entsteht nur Wasserdampf. Links im Bild Institutsleiter Klassen, rechts Politiker Westhagemann. Foto: Hereon/ Christian Schmid
Klassen: Wir entwickeln Konzepte, bei denen Tankstellen in die bestehenden Energie-Infrastrukturen integriert werden. Diese Standorte können dann sowohl überschüssige Energie im Netz zur Wasserstoffherstellung für die Tankstelle nutzen als auch Wasserstoff für die Rückverstromung oder Wärmeerzeugung nutzen. Im Rahmen der Norddeutschen Wasserstoffstrategie erarbeiten wir gemeinsam mit einem Expertenkreis geeignete Kriterien für die Standortbestimmung.
Noch ein Blick in die Glaskugel: In welchem Bereich könnte sich Wasserstoff als erstes durchsetzen – im Verkehr, in der Industrie oder im Energiesektor? Und wo werden wir in fünf bis zehn Jahren stehen?
Westhagemann: Was den Hamburger Hafen angeht: Für 2025 hoffe ich auf größere Projekte mit der Mineralölbranche und der chemischen Industrie. Die ersten Lkw im Hafen sollten schadstoffarme Antriebe haben, vielleicht auch einige Züge. Dann ließe sich besser als heute prognostizieren, wie viel CO2 sich mit der neuen Technologie einsparen lässt und was man sich perspektivisch bis 2030 vornehmen könnte. Als erste wirkliche Massenanwendung könnte ich mir Lkw und Busse vorstellen, die mit Brennstoffzelle und Wasserstoff unterwegs sind.
Klassen: Wichtig ist auch die Sektorenkopplung, also die Verzahnung von Strom, Wärme und Mobilität. Damit ließen sich die erneuerbaren Energien optimal nutzen und in unser System integrieren. Ein Beispiel: Bislang verschwenden wir jedes Jahr in Deutschland 1,5 Milliarden Euro an grünem Strom, der wegen eines Überangebots an Wind nicht ins Netz eingespeist wird. Mit diesem Überschussstrom ließe sich Wasserstoff herstellen, den man anschließend für verschiedene Sektoren nutzen könnte – sei es für die Rückverstromung, wenn der Wind mal nicht weht, sei es als Treibstoff für Fahrzeuge, sei es für die Wärmeerzeugung. In dieser Sektorenkopplung sehe ich ein Riesenpotenzial, auch wirtschaftlich.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte der Wissenschaftsjournalist Frank Grotelüschen.
Erschienen in der in2science #10 (Dezember 2020)