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Metallische Biomaterialien: Schrauben, die sich auflösen

Seit Januar 2015 ist Prof. Regine Willumeit-Römer als Institutsleiterin des Bereichs „Metallische Biomaterialien“ im Institut für Werkstoffforschung des Helmholtz-Zentrums Hereon (Hereon) verantwortlich. Im Gespräch mit Erich Wittenberg berichtet die langjährige Hereon-Abteilungsleiterin über die Forschungsarbeit ihres Instituts.

12 vessels with 1 ct pieces

Foto: Hereon/ Christian Schmid

Was sind die Aufgaben und Ziele dieses neuen Teilbereichs?

Wie der Name schon sagt, möchten wir metallische Biomaterialien entwickeln, also im wesentlichen Implantatmaterialien im Bereich der Knochenfixierung und Reparaturen am Knochen. Hauptschwerpunkt sind Messungen und Entwicklungen im Bereich der Magnesiumlegierungen für abbaubare Implantate. Wir werden aber auch Titanlegierungen entwickeln für permanente Implantate, die im Körper verbleiben.

Es geht also um Knochenimplantate aus Magnesium, die nicht mehr aus dem Körper entfernt werden müssen, weil sie sich im Körper auflösen. Die Forschungen dazu werden bereits seit 2011 im EU-Projekt MagnIM betrieben.

Das ist korrekt. Es gibt verschiedene Materialien, die dafür zur Verfügung stehen. Zum Beispiel kann man Polymere nehmen, die sich auflösen. Es gibt einige Anwendungen, wo kleine Polymerschrauben zur Fixierung von gerissenen Bändern im Bereich Knie- oder Schultergelenk eingesetzt werden. Wir gehen einen anderen Weg. Wir nehmen Metalle, die sich auflösen. In Frage kommen Eisen, Zink und Magnesium. Wir haben uns für Magnesium entschieden, weil es sich von den drei Metallen im Prinzip am schnellsten auflöst, und weil es für den Körper eine sehr sinnvolle Ergänzung darstellen kann. Magnesium ist ein wichtiger Faktor im Körper und ist viel steifer und fester als ein Polymermaterial. Wir hoffen, damit auch größere Knochendefekte besser versorgen zu können.

Nun wird man nicht einfach ein Stück Magnesium nehmen können und daraus ein Implantat anfertigen können. Wo liegt da die Tücke im Detail?

Das Hauptproblem liegt in der Abbaubarkeit des Materials. Wenn es sich zu schnell auflöst, müssen Sie sich das im Prinzip wie eine Brausetablette vorstellen: Es wird viel Gas freigesetzt und das Material ist sehr schnell weg. Die Knochenheilung braucht aber in der Regel einige Wochen bis Monate. Das heißt, so lange sollte das Material dann schon an Ort und Stelle sein. Ich muss also einen Mittelweg finden zwischen einer Abbaurate, die schnell genug ist, damit das Material auch schnell wieder aus dem Körper verschwindet und langsam genug, damit der Knochen sich auch entsprechend an das Material gewöhnen kann und sich selber wieder aufbauen kann, während das Implantat sich abbaut. Das genau einzustellen, ist extrem schwierig. Da gibt es sehr viele Faktoren, die berücksichtigt werden müssen. Das geht über die Wahl des richtigen Legierungselementes, über notwendige Wärmebehandlungen, bis hin zu Oberflächenbehandlungen, die wenn man sie falsch macht, tatsächlich dazu führen können, dass sich ein Material viel schneller abbaut, als man das eigentlich möchte.

Gefäß mit pinker Flüssigkeit

"Eine der zentralen Fragen ist: Wie baut sich das Material tatsächlich im Körper ab und vor allen Dingen, wie kann ich diesen Prozess messen?"
Foto: iStock/ NikiLitov

Welche Legierungen verwenden Sie?

Im Prinzip arbeiten wir mit seltenen Erden als einer Komponente. Wir haben aber auch schon Silber als Legierungselement eingesetzt. Das ist materialwissenschaftlich recht nützlich, um bestimmte Materialeigenschaften einzustellen und hat den Nebeneffekt, dass Silber antimikrobiell wirkt. Die Idee war, dass durch dieses Implantat während des Abbaus Bakterien, so sie denn in der Wunde sind, abgetötet werden können. Man kann zum Beispiel auch Kalzium als Legierungselement hinzufügen. Also hat man eigentlich eine recht große Werkstoffbox. Wir fangen mit Legierungen an, bei denen zunächst immer Magnesium mit einem Legierungselement vermischt wird, aber im Endeffekt sind auch kompliziertere Mischungen mit zwei oder womöglich sogar drei zusätzlichen Legierungselementen denkbar.

Welche Erkenntnisse haben ihre Versuche bislang gebracht?

Wir haben sehr lange an geeigneten Zellkultur-Versuchen gearbeitet. Das spezifische Abbauverhalten von Magnesium erfordert ganz neue Versuche. Hier nützen die Standardtests leider gar nichts. Die nächsten Probleme sind die Oberflächencharakterisierung und die Beschaffenheit der Implantatoberfläche. Nachdem wir auch das im Griff hatten, stellten wir fest, dass sich das Material eigentlich viel zu langsam abbaut, obwohl wir in der Zellkultur tolerable Abbauraten identifiziert hatten, die im Bereich von etwa einem Millimeter pro Jahr liegen. Im Test mit Ratten, den die Kollegen vom Universitätsklinikum Graz durchgeführt haben, sind sie jedoch wesentlich langsamer. Das heißt, jetzt müssen wir dies wieder in der Zellkultur überprüfen, um sicherzustellen, dass die Korrosionsrate in der Zellkultur mit der Korrosionsrate im Tier übereinstimmt.

Werden Ihre Materialien in Geesthacht hergestellt?

Zum Teil schon, die Legierungen stellen wir mit Hilfe der Kollegen im Magnesium Innovations Center her. Die Endbauteilfertigung jedoch findet noch nicht bei uns statt. Das ist allerdings etwas, was wir in Zukunft selber machen möchten. Es hat sich herausgestellt, dass vom Abguss des Rohmaterials bis hin zur finalen Schraube sehr viele Prozessschritte anschließen, die alle wieder das Material beeinflussen. Daher haben wir gesagt, dass wir selber in der Lage sein müssen, diese Prozesse zu optimieren und anhand von Kleinstserien wissenschaftlich zu vermessen. Ein Implantathersteller, der für uns beispielsweise Schrauben herstellt, liefert uns am Ende hunderte von Schrauben. Wenn wir aber nur zehn brauchen, um zu sagen, der Prozess hat leider nicht geklappt, ist das eine komplette Verschwendung von Ressourcen. Der Hersteller macht für uns natürlich nicht mehrere Durchläufe mit ständig neuen Prozessparametern; der macht sozusagen nur einen Schuss. Das ist für unsere wissenschaftliche Arbeit längst nicht ausreichend. Das heißt, diese ganzen Dinge würden wir gerne in Zukunft in Geesthacht selber machen können.

MagnIM wurde 2011 für die Dauer von vier Jahren angelegt. Ist im September Schluss?

Mit MagnIM auf jeden Fall, wobei wir schon daran arbeiten, Nachfolgeprojekte zu bekommen. Es gibt zudem Überschneidungen mit dem virtuellen Institut MetBioMat. Das ist eine Fördermaßnahme der Helmholtz-Gemeinschaft, in der 27 Partner aus dem norddeutschen Raum zusammenarbeiten, um die abbaubaren Magnesiumimplantatmaterialien schneller in die Anwendung zu bekommen. Mit dabei sind die Universitätsklinik Hamburg Eppendorf, die medizinische Hochschule Hannover und die Universitätsklinik in Graz. Insgesamt ist natürlich die Arbeit des neuen Institutsteils „Metallische Biomaterialien“ komplett auf diese Forschungen ausgerichtet. Auch wenn wir jetzt Einzelaspekte, die in MagnIM durch externe Partner gemacht wurden, so nicht mehr weiterführen können, haben wir aber immer noch im Hause so viel Kapazität, dass wir die allermeisten Dinge selber fortführen können, die wir in MagnIM angefangen haben.

Prof. Dr. Regine Willumeit-Römer

Foto: Hereon/ Christian Schmid

Inwieweit haben Sie die Ziele erreicht, die Sie sich im Projekt MagnIM gesetzt haben?

Das Hauptziel von MagnIM war die Charakterisierung von Implantatwerkstoffen im Tier, und das haben wir erreicht. Die Materialien, die wir austesten wollten, sind sogar einmal als kleine Schraube und einmal als kleiner Pin untersucht worden. Damit haben wir jetzt eine sehr gute Datenlage, die wir auswerten müssen. Mittlerweile sind wir schon in der zweiten und je nach Material auch schon in der dritten Optimierungsrunde, um das Material noch besser an den Organismus anzupassen.

Wie lange wird es dauern, bis Ihre Implantatmaterialien in klinischen Tests angewendet werden?

Bei den Materialien, die wir jetzt entwickelt haben, denke ich, dass das noch recht lange dauert. In MagnIM war ein Aspekt, Implantate für Kinder zu entwickeln. Dabei ist zum Beispiel der Einsatz von Silber durchaus umstritten, auch wenn es den Nutzen hat, antimikrobiell zu sein. Bei Erwachsenen sieht das wiederum anders aus. In welche Richtung es geht, muss am Ende eine Firma entscheiden, denn wir werden keine klinischen Studien machen; das können wir gar nicht bezahlen.

Was sind Ihre nächsten Ziele?

Zunächst einmal muss ich schauen, mit welchen Partnern ich weiter zusammenarbeite. Eine der zentralen Fragen ist: Wie baut sich das Material tatsächlich im Körper ab und vor allen Dingen, wie kann ich diesen Prozess messen? Das heißt, wie kann ich über ein oder eineinhalb Jahre sehen was im lebenden Organismus passiert?

Wie wollen Sie das angehen?

Wir werden versuchen, bildgebende Verfahren über verschiedene Drittmittelprojekte mit einigen der Partner aus dem virtuellen Institut und auch aus MagnIM als Anschlussprojekte zu entwickeln. Denn erst wenn wir wirklich wissen, was im Organismus passiert, können wir im Labor diese Experimente nachbauen und haben dann viel belastbarere Zahlen. So reduzieren wir die Zahl der zukünftigen Tierversuche. Wir hoffen, eine Sensorik zu entwickeln, die mir während es Abbaus Informationen gibt, welche Proteine vom Körper gebildet werden, welche Zellen dort einwandern, welche Chemie an der Implantatoberfläche abläuft – also all diese Dinge, die direkt mit der Biologie im lebenden Organismus zu tun haben, sind für mich im Augenblick die größte Herausforderung.

Prof. Dr. Annelie Weinberg über die aussichtsreiche Anwendung metallischer Biomaterialien

Prof. Dr. Annelie Weinberg, Chefärztin an der medizinischen Universität Graz, arbeitet in zwei Projekten eng mit Prof. Regine Willumeit-Römer zusammen. Insbesondere für die Kinderchirurgie attestiert die Unfallchirurgin den metallischen Biomaterialien aussichtsreiche Anwendungen. Welche das sein könnten, darüber sprach sie mit Erich Wittenberg.

Chefärztin Prof. Annelie Weinberg

"Zudem glaube ich, dass es später
sozusagen ein „design on demand“
geben wird." - Prof. Dr. Annelie Weinberg. Foto: Privat

Wo liegen in der chirurgischen Praxis die Unterschiede im Umgang mit dem Material Magnesium?

Das Material ist von den Grundeigenschaften her elastischer. Deswegen muss es momentan noch ein bisschen dicker bleiben. Wenn man zum Beispiel einen herkömmlichen Draht mit einem Durchmesser von 1,6 Millimeter nimmt, muss man nun ungefähr 2,24 Millimeter nehmen. Man braucht eine größere Dimension, damit man die gleichen elastischen Eigeschaften erhält, denn die sind wichtig bei der Knochenbruchheilung.

Wo sehen Sie die Vorteile?

Wenn sich ein Implantat auflöst und man es nicht mehr herausnehmen muss, hat jeder einen Vorteil. Insbesondere für Kinder, deren Knochen viel schneller heilen und noch wachsen, wäre das ein Riesenvorteil. Bei Erwachsenen versucht man zwar im Allgemeinen zu vermeiden, die Implantate überhaupt wieder zu entfernen, weil die Komplikationen der Implantat Entfernung relativ hoch sind. Allerdings wird ein Knochen an der Stelle, wo ein Implantat die Last übernimmt, mit der Zeit immer schwächer. Das kann insbesondere bei alten Menschen zu Problemen führen, vor allem wenn sie schon mehrere Implantate haben. Auch hier wären abbaubare Magnesiumimplantate von Vorteil.

Können Magnesiumimplantate die bisherigen Materialien eines Tages komplett ablösen?

Das hängt von vielen Dingen ab. Beim Erwachsenen sehe ich das etwas problematischer, weil es am Ende auf die Frage hinausläuft, welches Verfahren die geringeren Kosten verursacht. Auch muss nachgewiesen werden, dass das Risiko für den Patienten erheblich reduziert wird. Zudem glaube ich, dass es später sozusagen ein „design on demand“ geben wird. Das heißt, dass für unterschiedliche Indikationen unterschiedliche Magnesiumlegierungen entwickelt werden müssen.

Was sind ihre Aufgaben in den gemeinsamen Projekten mit Prof. Dr. Willumeit-Römer?

Unsere Aufgabe ist es, die Legierungen im Tier zu testen. Wir bekommen vom Hereon Implantate aus Magnesiumlegierungen und implantieren diese im Tier. Anschließend analysieren wir diese Daten. Ein Ziel ist es auch, die in-vitro Daten mit den invivo Daten abzugleichen, um zum Beispiel auch Tierversuche auf das Minimum zu begrenzen.

Welche Ergebnisse haben Sie erhalten?

Wir haben erreicht, dass das Material in den Knochen eingebracht werden kann und gezeigt, dass das unproblematisch ist. Zwar löst sich das Material noch nicht optimal auf, aber wir sind schon sehr nah dran. Wir haben zumindest Kandidaten, die vielversprechend sind. Dabei ist es wichtig, das Material so einzustellen, dass es sich nicht zu schnell auflöst. Allerdings hatten wir auch ein Material, dass sich ganz schnell aufgelöst hat und waren erstaunt, dass der Knochen sich trotzdem komplett erholen kann. Das ist eine gute Nachricht, denn selbst wenn etwas schief gehen würde, würde das dem Knochen nichts ausmachen.


Autor: Erich Wittenberg
Erschienen in der in2science #2 (Juli 2015)