Flüssige Nahrung auch für Tausendfüßer
Ein Team unter Leitung des Leibniz-Institut zur Analyse des Biodiversitätswandels und der Universität Bonn in Kooperation mit Dr. Jörg Hammel vom Helmholtz-Zentrum Hereon hat gezeigt, dass sich auch Tausendfüßer auf Flüssignahrung spezialisieren. Das Forschungsteam untersuchte die Köpfe von Individuen der Colobognatha ([Colobus, griech. gnathos = der Kiefer], Doppelfüßer) und fand eine „Saugpumpe“ zur Aufnahme flüssiger Nahrung. Die Studie erschien jüngst im Fachmagazin Science Advances.
Röntgenmikrotomographie-Aufnahme des Saugorgans [Foto: Hereon/ Jörg U. Hammel]
Dass Schmetterlinge Nektar saugen und Mücken unser Blut, ist keine Neuheit. Gleiches gilt für eine Reihe von anderen Insekten und Gliederfüßern. Tausendfüßer gehören zu dieser Gruppe der Arthropoden wie auch Insekten, Krebs- oder Spinnentiere. Bei Letzteren ist die Aufnahme von flüssiger Nahrung bereits gut erforscht. Erstaunlich ist, dass nun auch bei Tausendfüßern eine Saugpumpe entdeckt wurde, die sehr ähnliche biomechanische Ansätze zur Aufnahme von flüssiger Nahrung ausweist – wie die von weitentfernten Organismengruppen. Die Entdeckung bestätigt Vermutungen der Wissenschaft. Die Saugpumpe ist das Ergebnis von über 100 Millionen Jahren Evolution.
Alle neun untersuchten Tausendfüßer-Arten weisen eine ähnliche Saugpumpe auf wie die der Insekten. Damit könne das Team zeigen, dass sich die funktionellen Saugorgane in allen großen Untergruppen der Gliederfüßer unabhängig voneinander ausgebildet haben, heißt es in der Pressemitteilung des Leibniz-Institut zur Analyse des Biodiversitätswandels.
Dr. Jörg Hammel vom Helmholtz-Zentrum Hereon ermöglichte die Analyse mithilfe von hochaufgelösten Röntgenmikrotomographie-Aufnahmen, angefertigt mit den Anlagen des Hereon am Speicherring PETRA III des Deutschen Elektronen-Synchrotrons DESY in Hamburg: „Man erhält einen 3D-Bilddatensatz genau wie bei einer CT-Untersuchung in der Klink. Im Unterschied zu dieser können wir aber eine wesentlich höhere Auflösung erreichen und spezielle Kontrastverfahren nutzen. Anhand der 3D-Daten konnten die Kollegen in Bonn die Anatomie des Nahrungsapparates der Tausendfüßer rekonstruieren und ein Modell zur Funktionsweise aufstellen“, erklärt Hammel.
Nur wenig Tausendfüßer-Arten
Im Vergleich zu der sehr diversen Gruppe der saugenden Insekten mit über 400.000 Spezies weist die Gruppe der Colobognatha-Tausendfüßer nur knapp 250 Arten auf.
Woran das liegt? Prof. Alexander Blanke, ein leitender Autor der Studie von der Universität Bonn, geht davon aus, dass: „Die heutigen saugenden Tausendfüßer vermutlich eine Reliktgruppe und das Überbleibsel einer einst viel größeren Vielfalt.“ Da Tausendfüßer nicht fliegen können, sind ihre Ausbreitungs- und Migrationsmöglichkeiten eingeschränkt. Darüber hinaus reduziert sich ihr Lebensraum vorwiegend auf feuchte Gebiete. Das macht sie im Gegensatz zu fliegenden Insekten, deutlich anfälliger für Umweltveränderungen. Insofern liefert die Studie auch Erkenntnisse, die Entstehung von Artenvielfalt besser zu verstehen.
Die Meldung ist angelehnt an die Pressemitteilung des Leibniz-Institut zur Analyse des Biodiversitätswandels und der Universität Bonn
Weitere Informationen
- Pressemitteilung des Leibniz-Institut zur Analyse des Biodiversitätswandels
- Website Institut für Werkstoffphysik - Röntgenbildgebung mit Synchrotronstrahlung
- Originalpublikation Moritz L., Borisova E., Hammel J.U., Blanke A., Wesener T. (2022) A previously unknown feeding mode in millipedes and the convergence of fluid feeding across arthropods. Science Advances, Volume 8, Issue 7
doi: 10.1126/sciadv.abm0577
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Röntgenbildgebung mit Synchrotronstrahlung, Hereon-Außenstelle am DESY in Hamburg
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